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«Viele können nicht an die kirchliche Sprache andocken»

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04.09.2017
Was ist von der Reformation geblieben? Die reformierte Theologin Christina Aus der Au und der Jesuit Christian Rutishauser diskutierten an der gemeinsamen Reformationssynode der Kirchen Baselland und Basel-Stadt, wie die Kirche «ansteckend und interessant» sein könnte.

«Wir brauchen eine neue Reformation. Zurückschauen um vorwärts zu schauen» hiess der Titel der gemeinsamen Veranstaltung der Parlamente der reformierten Kirchen von Baselland und Basel-Stadt, die Ende  August in Liestal stattfand.

Ueli Zahnd, Professor für Kirchen- und Theologiegeschichte an der Universität Basel, warf zu Beginn einen kritischen Blick auf die Geschichte der Reformation.Die Reformation sei ein vielschichtiges Ereignis, an dem sich Akteure mit unterschiedlichen politischen, theologischen und nicht zuletzt eigenen Interessen beteiligten: Rat, Zünfte, Stadtbevölkerung, Bauern, Geistliche.

Kirchenbesuch als Pflicht
Die reformatorische Freiheit, wie wir sie heute schätzen, galt damals nur bedingt. Die neu geschaffenen Synoden strukturierten die Kirche und vereinheitlichten die Frömmigkeit. Die Reformation konzentrierte sich auf Wort und Schrift. Kerzen, Bilder, Heilige verschwanden aus den Gotteshäusern, so Zahnd. Der Kirchenbesuch wurde zur Pflicht, die Anwesenheit bei Abendmahl und Sonntagsgottesdienst kontrolliert. Die Reformation habe die Kirche zwar näher zu den Menschen gebracht, indem sie sie von Rom loslöste und lokal organisierte. Doch seien die Gläubigen einer stärkeren Kontrolle ausgesetzt gewesen. Zudem führte die Reformation zu einer Staatskirche.

Die Nöte der heutigen Menschen
Die Not der Menschen sei im 16. Jahrhundert eine andere gewesen als heute, betonte Ueli Zahnd. Vielen – so auch Luther – sei es um das eigene Seelenheil gegangen. Die heutigen Nöte der Menschen lägen im Diesseits, nicht im Jenseits, meinte Zahnd.

Die Theologin Christina Aus der Au vom Zentrum für Kirchenentwicklung der Universität Zürich und Christian Rutishauser SJ, Provinzial der Schweizer Jesuiten, nahmen den Faden auf. Die Frage «Was passiert  nach dem Tod?» raube den Leute heute nicht mehr den Schlaf, bestätigte Aus der Au. Die Menschen beschäftigten sich aber durchaus nicht nur mit dem Diesseits. Nach wie vor fragten sich viele: «Wie gebe ich meinem Leben einen Sinn? Wie kann ich mich selber sein in dieser Welt? Und wie können wir verantwortlich leben?» –  Meist gingen solche Gedanken aber im Alltagswirbel unter.

Die «Krise des Heiligen»
«Die Not der Christinnen und Christen ist, dass sie die Not gar nicht mehr spüren, in der sie leben», meinte Christian Rutishauser. Es fehle ihnen die Sprache für den Glauben. Viele glaubten, sie brauchen keine Spiritualität. Die Sinndimension des Lebens breche weg. Die heutige Wissenschaftsgläubigkeit reduziere den Menschen auf ein neuronal gesteuertes Wesen. Rutishauser beklagte eine «Krise des Heiligen». Die Kirche müsse Worte finden, die die Lebenswirklichkeit wieder mit der Tradition verbinden. Sie erlebe, dass viele nicht an die kirchliche Sprache «andocken» können, sagte Christina Aus der Au. «Wie nehmen wir die Diesseitsmenschen ernst, ohne ihnen zu unterstellen, euch fehlt etwas?», gab sie zu bedenken.

Eine provokative These
«Wir brauchen eine neue Reformation», lautete der Titel der Veranstaltung. Eine provokative These, meinte Ueli Zahnd. Die Menschen im 16. Jahrhundert hätten Visionen gehabt, wie eine neue Kirche aussehen sollte. «Die neuen Strukturen der reformierten Kirche waren eine Folge der inhaltlichen Auseinandersetzung, nicht der Ausgangspunkt.»

Christina Aus der Au stellte fest, man verwalte Strukturen und lasse darüber die «Krise des Heiligen» ausser acht. Die Kirchenparlamente hätten jedoch weit mehr Kompetenzen als die Kirche zu organisieren. Die Kirche müsse sich auf Neues einlassen und sich fragen: «Wie sind wir ansteckend und interessant?» «Wir  müssen authentisch Auskunft geben über unseren Glauben», forderte Aus der Au, und zwar über den eigenen Glauben, nicht darüber, was die Theologen dozierten. «Diesen Mut müssen wir wieder haben.»

Karin Müller, 4. September 2017

Lesen Sie dazu auch das Interview mit Martin Stingelin, Kirchenratspräsident der reformierten Kirche Baselland, auf ref.ch.

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