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«Natürlich war Luther ein Macho»

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05.09.2017
An die Schattenseiten der Reformation erinnerten der Zürcher Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist zusammen mit der EKD-Reformationsbotschafterin Margot Kässmann und dem Alt-Bundesrat Samuel Schmid.

Im mystischen Dunkel des Grossmünsters in Zürich flirren Schatten, als wollten sie das Thema des Abends sinnlich untermalen. «Schattenwurf»  hat der Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist diesen Veranstaltungszyklus genannt, in dem er zusammen mit anderen «Schattenarbeit» leistet, um neben dem Licht auch die Schattenseiten der Reformation herauszuarbeiten. Als prominente Schattenarbeiterin reiste die  Reformationsbotschafterin der Evangelischen Kirchen Deutschlands (EKD), Margot Kässmann, an. Sie blickte zurück auf das Lutherjubiläum 1917. Vor hundert Jahren herrschten in Deutschland Geschichtsklitterung und Vergesslichkeit vor. Mitten im Ersten Weltkrieg hätten sich giftig rassistische und nationalistische Untertöne in die Feierlichkeiten gemischt. Luther wurde damals zum Übervater der Deutschen. 2017 sei es nun anders. «Wir würdigen die Reformation als einen langen historischen Prozess, der über Wycliff und Hus zu Luther und weiter zu Zwingli sowie Calvin führt. Wir würdigen die Reformation in ihrer internationalen Dimension.»

Reformatorische «Schattenarbeit»
Deshalb stand nun Margot Kässmann neben Christoph Sigrist, der ganz selbstkritisch die Schatten der Zürcher Reformation vor Augen führte - die brutale Verfolgung und das gnadenlose Ersäufen der Täufer. «Verfolgung ist Verrat am Evangelium. Verfolgte vergessen ihre Geschichte nicht, Verfolger verdrängen sie», sagte er und erinnerte an die 2004 bei der Versöhnungsfeier enthüllte Tafel für Felix Mantz und andere Täufer. Für Sigrist ist diese eiserne Tafel an der Limmat der «Grundstein reformatorischer Schattenarbeit».  Der Tragik der Zürcher Täufer widmet er in seinem soeben erschienenen Buch «Anna Reinhart und Ulrich Zwingli» ein besonders lebendiges Kapitel.

2017 spielen die Frauen, wie die Romanbiografie von Sigrist über Anna Reinhart belegt, beim Gedenken an die Reformation eine bedeutende Rolle. Gerade die EKD-Reformationsbotschafterin Kässmann, der beinahe automatisch das Attribut «feministisch« anhaftet, bemüht sich an diesem Abend im Grossmünster um die Genderfrage. Sie rief dabei einige dunkle Stellen Luthers ins Gedächtnis. Der Reformator habe sowohl den Hexenwahn mitzuverantworten wie auch in manchen Sentenzen die völlige Unterwerfung der Frauen unter die Männer gefordert. Selbst den Frauentod im Kindbett rechtfertigte der Wittenberger Reformator als edles Werk: «Ob die Frauen sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nichts. Lass sie nur tot tragen, sie sind darum da.»

Lichtblick für die Frauen
Dennoch erkennt Kässmann mehr Licht, das von der Reformation her den Frauen entgegenleuchtet. Die Bildungsoffensive der Reformation, ausgelöst durch das Postulat, die Bibel zu lesen, schloss auch Frauen ein. Vor allem die lutherische Tauftheologie habe jedem getauften Christenmenschen, notabene auch den Frauen, die Perspektive eröffnet «Priester, Bischof oder Papst» zu werden, so Kässmann. Daraus habe sich dann auf lange Sicht die Ordination der Frauen als Pfarrerinnen zum Alleinstellungsmerkmal der protestantischen Kirchen entwickelt. Dass nun die vom klösterlichen Leben befreiten Nonnen mit Männern zusammen leben konnten, wertet sie wiederum als Akt der Befreiung der Sexualität von ihrer Sündhaftigkeit. Aus der Perspektive der Gegenwart sei indes klar: «Natürlich war Luther ein Macho».

Der «Durchschnittsprotestant»
Alt-Bundesrat Samuel Schmid zeigte sich zufrieden, dass die Reformationsfeiern nicht in überschwängliche Jubelfeiern mündeten. Aber er wollte als «Durchschnittsprotestant» noch ein wenig das Licht seines reformierten Glaubens betonen. Dabei zeigte sich: Dem «Durchschnittsprotestanten» ist es wichtig, dass das naturwissenschaftliche Weltbild und die Glaubensinhalte nicht zu weit auseinander streben. Dass die katholische Kirche erst im Jahre 1992 Galilei von der Verurteilung der päpstlichen Inquisition rehabilitierte, das sei, so Schmid, «völlig unverständlich». Im Kontrast zu solch engstirnigen Doktrinen des Vatikans erkennt er das Licht seines reformierten Glaubens: «Ich bin stolz, ein Protestant zu sein.»

Ganz poetisch-hintersinnig merkte noch der Komponist Hans Jürgen Hufeisen, der zuvor mit seinem Flötenspiel den Klangraum des Grossmünsters musikalisch-spirituell erfüllte, an: «Wir brauchen Schatten, um Licht zu sehen. Wir können nicht so tun, als ob es keine Schatten gäbe.»

 Delf Bucher, reformiert.info, 5. September 2017

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