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Aus Fröschen werden Prinzen

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25.09.2017
Der Journalist Peter Rothenbühler schrieb über die Schönen und Reichen. Sein Erfolg geht zurück auf die Kindheit als Pfarrerssohn.

Herr Rothenbühler, Ihr Vater war Pfarrer. Er sagte zu Ihnen: Denke daran, Wörter können töten. Haben Sie sich das zu Herzen genommen?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe bald gemerkt, dass der Journalismus eine grosse Wirkung hat und Menschen verletzen kann. In meiner Arbeit bei populären Zeitungen haben wir Skandale aufgedeckt. Ich habe stets das Prinzip vertreten, man darf die Prominenten hart anfassen, aber nur auf der sachlichen Ebene. Wenn es um die Person geht, sollte man vorsichtig sein. Selbst eine Prinzessin Stefanie oder Diana muss man anständig behandeln.

Konnten Sie sich mit dieser Auffassung im Hause Ringier durchsetzen?
In der Redaktion habe ich protestiert, wenn Einzelne oder ganze Bevölkerungsgruppen verunglimpft wurden. Mit Erfolg. Viele glauben, die Boulevardmedien spielen ihre Macht aus und gehen über Leichen. Das stimmt nicht. Als wir einen Serienmörder, der junge Burschen ermordet hatte, als «Sexmonster» bezeichneten, wandte der Verleger ein, kein Mensch sei ein Monster. Vielleicht war der Täter ja krank. Aber er hat sechs Existenzen ausgelöscht. Das ist monströs.

Haben Sie Geschichten abgelehnt?
Sehr oft. Viele riefen auf der Redaktion an, um andere zu denunzieren, etwa, dass sie ihre Frau betrogen hätten. Wir lehnten die Geschichte ab und erklärten, dass sei ein Fall für den Anwalt. Mein Credo lautet, ein Journalist muss über andere so schreiben, dass die sagen können, das was ihr geschrieben habt, ist hart, aber es stimmt. Man verkauft nicht mehr Zeitungen, wenn man zynisch ist und Lügen verbreitet.

Sie gelten als Erfinder des Schweizer People-Journalismus. Im Gegensatz zur Boulevardpresse in Deutschland oder Grossbritannien haben Sie die Menschen nicht schlechtgemacht, sondern aufgebaut.
Die beiden grössten Pioniere des People-Journalismus, Verdens Ganz und Roger Thérond, erklärten mir, wenn ihr über Prominente schreibt, dann müsst ihr sie zu Hause besuchen. Wenn wir die Reichen und Schönen privat besuchten, lästerten wir später in der Zeitung nicht über ihre kitschigen Bilder und schlechten Geschmack.

Gibt es in der Schweiz genügend Prominente?
Sicher, das ist eine Frage der Perspektive: Die Amerikaner geben mit ihren Stars an, ebenso die Franzosen und Deutschen. Wir Schweizer haben unsere Leute kleingemacht. Der Erfolg der «Schweizer Illustrierten» beruht darauf, dies nicht zu tun.

Spürt man da nicht den Pfarrerssohn, der die Menschen ernst nimmt und anständig behandelt?
Das verleugne ich nicht. Meine Eltern haben mir dieses Erbe mitgegeben und ich habe dies an meine Söhne weitergegeben. Mir sind Werte wie Anstand, Vergebung und Solidarität mit den Ärmsten und Schwachen wichtig. Als meine Mutter 15 Jahre alt war, hat ihr Vater, der Lehrer war, die schwächeren Schüler nach Hause gebracht und sie musste ihnen bei den Aufgaben helfen.

Die «Schweizer Illustrierte» begegnet den Stars auf Augenhöhe.
Wir Normalen wollen wissen, wie die Prominenten im Alltag leben und ob sie die gleichen Probleme wie wir haben. Bringen sie ihre Kinder in die Schule, haben sie Eheprobleme oder Wasser im Keller? Bei den normalen Menschen hingegen interessiert das Aussergewöhnliche. Diese aussergewöhnlichen Schicksale sollten gut ausgehen, sonst wird dies von der Leserschaft nicht goutiert.

Unterschlagen Sie so nicht, dass das Leben auch grausam ist?
Sehen Sie, das Leben ist schon deprimierend genug. Wir Journalisten vergessen oft, dass die meisten Menschen etwas brauchen, das ihnen gut tut. Nicht nur den guten Kaffee am Morgen, sondern auch eine gute Geschichte. Niemand will negative Schlagzeilen am frühen Morgen.

Sind die Menschen gegenüber dem Elend der Welt abgestumpft?
Heute haben sich viele eine Elefantenhaut zugelegt. Ich bin erstaunt, wie wenig beispielsweise wir uns für das Schicksal der vom Hurrikan Betroffenen in der Karibik und im Süden der USA interessieren. Die Menschen erleben dort die Apokalypse.

Hat dies nicht mit den Medien zu tun?
Ich glaube, ja. Die Journalisten haben über Jahre hinweg zu wenig Zurückhaltung gezeigt. Die Menschen sind abgestumpft. Das hat sich heute inzwischen geändert. Die Leute haben genug von Verbrechen, Mord, Blut und Sperma.

Glauben Sie ans Gute im Menschen?
Schauen Sie sich um: Hier leben doch alles anständige Menschen, die arbeiten, heimkommen, Kinder ernähren und Velo fahren.

Paulus sagt, die Wahrheit wird euch frei machen.
Überall, wo die Wahrheit unterdrückt wird, wird es ekelhaft. Über Jahre übte die Tabakindustrie, die zu den grössten Inserenten gehörte, auf die Medien einen enormen Druck aus. Sie versuchte mithilfe von Wissenschaftlern zu beweisen, dass zwischen Rauchen und Krebs kein Zusammenhang besteht. Ich habe damals mit Präventivmedizinern gesprochen. Es war eindeutig, dass Krebs auf den Tabakkonsum zurückgeht. Wir publizierten dies, selbst wenn wir finanzielle Einbussen in Kauf nahmen.

Hat der Glaube das Pfarrerskind geprägt?
Der naive Glaube nicht. Gegen den habe ich mich schon in der Pubertät gewehrt. Das Besondere am Christentum sind die Werte, die es vertritt. Alle Revolutionen fussten auf diesen christlichen Werten. Später hat die Gesellschaft diese Werte übernommen, auch wenn viele mit der Institution Kirche nichts anfangen können. Die Aufklärung etwa ist ein direktes Erbe des Evangeliums. Mein Erbe sind diese Werte, die ich hochhalte. Man kann dies Glaube nennen oder besser Überzeugung.

Welcher christliche Wert ist Ihnen am wichtigsten?
Der Grundsatz der Evangelien und des Christentums besagt, dass jeder Mensch gleich viel wert ist. Alle sollten die gleichen Rechte, Pflichten und Chancen haben. Wenn ich jedoch in der Welt sehe, wie viele kein Dach über dem Kopf, nichts zu Essen und keine Bildung haben, dann sind wir davon noch weit entfernt.

Tilmann Zuber, kirchenbote-online, 25. September 2017

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