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Eine hilfesuchende Frau landet auf dem Scheiterhaufen

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02.11.2017
1574 wurde Ursula Tachsenhauserin in Zürich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Der Historiker und ausgebildete Erzähler «Kurt Spiess» will der vermeintlichen Hexe eine Stimme geben.

Die Geschichte der Ursula Tachsenhauserin sei typisch, erklärt der Historiker Kurt Spiess. Wie viele andere Frauen, welche als Hexen verurteilt wurden, war sie verwitwet und als Mutter von zwei bis drei erwachsenen Kindern schon älter. Es waren oft die Schwächsten der Dorfgemeinschaft, welche damals ausgegrenzt und als «Hexen» und «Unholde» verschrien wurden. Eigentlich ging sie zum Landvogt, um sich zu beschweren, weil ein Nachbar sie geschlagen und als Hexe bezeichnet hatte. Doch statt Hilfe zu bekommen, löste sie damit den Prozess gegen sich selbst aus.

Der Landvogt reiste nach Ossingen im Zürcher Weinland und fand viele Dorfbewohnerinnen und -bewohner, welche sie als Hexe anschwärzten. Was man der Witwe aus Ossingen vorwarf, folgte dem gängigen Muster des Schadenszaubers. So habe sie etwa eine Kuh mit einem Rütlein geschlagen, worauf diese tot umgefallen sei. Dazu kam die Gefolgschaft mit dem Teufel. 1574 wurde sie in der Stadt Zürich an der Sihl auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

10'000 Hexenprozesse in der Schweiz
In Zürich gab es zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert etwa 200 Hexenprozesse mit 79 Todesurteilen. Auf dem Gebiet der heutigen Schweiz waren es rund 10'000 Hexenprozesse; schätzungsweise 4000 bis 6000 davon endeten mit einer Hinrichtung.

Auf die Geschichte der Ursula Tachsenhauserin ist Kurt Spiess durch das Buch des Zürcher Alt-Staatsarchivars Otto Sigg gestossen, der alle Akten zu Hexenprozessen mit Todesurteil – Untersuchungsberichte, Verhörprotokolle, Gerichtsurteile – transkribiert und publiziert hat. Zusätzlich arbeitete Spiess auch die Forschungen zur Sozialgeschichte der Zürcher Landschaft im 16. Jahrhundert und die Genealogien der beteiligten Zürcher Zunftfamilien auf.

Geschichte lebendig erzählt
Seine Erzählung, die er am 9. und 17. November im Kulturhaus Helferei in Zürich vorträgt, folgt den historischen Fakten. Sie sei aber kein wissenschaftlicher Bericht, betont er. «Die trockenen Fakten werden für die Erzählung lebendig gemacht. Wie war das Wetter, als die Tachsenhauserin zum Landvogt ging? Welche Kleider trug sie? Solche Elemente machen erst die Erzählung aus.» Auch die Charaktere werden gezeichnet – etwa die Landvögtin als eine frömmlerische und autoritätsgläubige Frau, welche den damaligen Teufelsglauben in die Erzählung einbringt.

«Als Erzähler fühle ich mich der Tachsenhauserin verbunden – ich möchte ihr eine Stimme geben», erklärt der Historiker. Er glaubt, dass die Frau mit der Geschichte ihre Würde zurückerhalte. Der 67-Jährige hat nach seiner Pensionierung an der Universität der Künste in Berlin den Zertifikatskurs «Storytelling» absolviert und tourt nun als Erzähler durch die Lande.

«Schäbige» Rolle der Reformierten
Die Rolle der reformierten Kirche in den Hexenprozessen bezeichnet der Historiker als «schäbig». Er ist überzeugt, dass der Teufelsglaube der reformierten Theologie das ideologische Fundament der Hexenprozesse und -verurteilungen gelegt habe. Die Kirche trage «Mitverantwortung und Mitschuld».

Umso erfreulicher sei es für ihn, dass die Geschichte der Tachsenhauserin nun an einer gemeinsamen Veranstaltung der Pfarrei Grossmünster und des Stadtarchivs Zürich in der Helferei, also in unmittelbarer Nähe des Grossmünsters und der Wohnung der damaligen Kirchenverantwortlichen, erzählt werden kann.

Der Zürcher Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist gibt Spiess ein Stück weit recht. «Ich will die Rolle der Kirche nicht schönreden, sie hat sich in manchen Situationen zu wenig für die verurteilten Frauen und Männer eingesetzt». Es brauche sehr viel Mut, sich gegen die Mehrheit der Gesellschaft aufzulehnen. «Ich bin nicht sicher, ob wir – auch ich persönlich – heute diesen Mut hätten, den wir von der damaligen Kirche verlangen.»

Ein StĂĽck Wiedergutmachung
Sigrist betont, er sei Spiess dankbar fürs Aufarbeiten und Erzählen der Geschichte der Tachsenhauserin, die er selbst noch nicht kenne. Er sei seit vielen Jahren sensibilisiert für die Frage, wie die Kirche mit ihrer Schuld umgehe. Der Grossmünster-Pfarrer hatte sich stark für die Rehabilitierung der von den Reformatoren grausam verfolgten Täufer eingesetzt. 2004 entschuldigte sich der damalige Präsident der Zürcher Kirchenrats, Ruedi Reich, bei deren Nachfahren und bekannte sich zur «historischen Schuld» der Reformierten. Für den Erzähler Kurt Spiess ist die Veranstaltung in der Helferei nichts weniger als «ein Stück Rehabilitation für die Tachsenhauserin und Wiedergutmachung».

Sabine SchĂĽpbach, reformiert.info, 2. November 2017

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