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Wegbereiter der modernen Schweiz

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14.03.2017
Das 19. Jahrhundert stand im Zeichen des Kulturkampfes. Die beiden Historiker Josef Lang und Pirmin Meier verschieben in ihrem gemeinsamen Buch die Akzente. Ihre These: Nicht der Graben zwischen katholisch und protestantisch, sondern vor allem das Ringen um den modernen Nationalstaat befeuerte den Konflikt.

Kulturkampf – wer heute Luzerner Jugendliche danach befragt, wird kaum viel erfahren. Selbst in den «katholischen Stammlanden» ist die Erinnerung an den prägenden Streit zwischen Katholisch-Konservativen und Liberalen verblasst. Noch bis in die 1950er Jahre teilten sich im Luzernischen die Gesellschaft in zwei Lager – schön sortiert nach rot und schwarz. Die Roten, das waren die Ultramontanen; die Katholisch-Konservativen die Schwarzen. Die Zweispaltung der Innerschweizer Gesellschaft spiegelte sich im Dorfleben wieder. Da gab es rote und schwarze Musikvereine, Chöre und Turnvereine. Selbst die Beizen unterzogen sich dieser politischen Farbenlehre.

Staatliche Imam-Ausbildung
Tempi passati. Und so taucht die geschichtspädagogische Frage auf: Warum soll man sich heute mit dem Kulturkampf beschäftigen? Bei einer Veranstaltung der Universität Luzern gab der Historiker Josef Lang darauf die Antwort: «Die Konflikte zeigen, dass es um Identität geht, die sich keiner absprechen lassen will.» Dies sei heute auch im Verhältnis der schweizerischen Mehrheitsgesellschaft zu der muslimischen Minderheit von grösster Bedeutung. «Wer dauernd ausgegrenzt wird», so Lang, der neige dazu, sich abzuschotten.

Früher waren es die Katholiken, die als Romtreue als vaterlandslose Gesellen gebrandmarkt wurden, wenig begabt mit Intelligenz. Der grüne Ex-Nationalrat plädiert in dem mit Pirmin Meier gemeinsam herausgegebenen Buch «Kulturkampf» für die staatlich geförderte Schulung von Imamen und Religionslehrern in der Schweiz. Der historische Schriftsteller Pirmin Meier widerspricht, da er Staat und Religion gerne als verschiedene Sphären getrennt halten will.

Historischer Glücksfall
Den konservativen Pirmin Meier mit dem progressiven Josef Lang in einem Buch zusammenzubringen, das war die Idee des Verlegers Bruno Meier vom Verlag «Hier und Jetzt». Die Differenz der Geisteswelten ist auch grafisch umgesetzt: Man kann das Buch auf beiden Seiten zu lesen anfangen.

Noch mehr als diese Layout-Idee überraschen die Autoren mit ihren Geschichtsdeutungen. Der linke GSOA-Mitbegründer Lang singt hier die Ode auf die freisinnigen Katholiken. Er verdeutlicht in seiner Studie, wie viele Geistliche und katholische Politiker die Fahne des Liberalismus hochhielten. In der Zeit des Sonderbundskriegs, schätzt Lang, waren knapp ein Drittel der Katholiken dem liberalen Lager zuzurechnen. Das war besonders in St. Gallen entscheidend, wo liberale Priester für die Auflösung des katholischen Sonderbundes warben und damit die nötige zwölfte Standesstimme zur Auflösung der Katholikenallianz beibrachten. Im Gefolge des Sonderbundeskriegs führte dies schliesslich zum modernen Bundesstaat. Für Lang ein historischer Glücksfall: «Wäre der katholische Klerus vor 1848 ebenso geschlossen ultramontan gewesen, wie er es nach der päpstlichen Unfehlbarkeitserklärung 1871 geworden ist, wäre es kaum zur Gründung eines Schweizer Nationalstaats gekommen.»

Mehr erzählerisch geht Pirmin Meier in seinem Essay vor. Mit vielen Kulturkampfgeschichten fängt er atmosphärisch das Zeitkolorit ein. Ein gutes Beispiel ist eine Gräuelgeschichte aus dem Wallis. Da wurde ein verstorbener protestantischer Bürger auf Geheiss des Pfarrers vom Tierbestatter vom Kirchhof entfernt und in ungeweihter Erde verscharrt. Dahinter verbirgt sich aber nach Meier mehr die Ungleichzeitigkeit zwischen dem alpin-vorindustriellen Wallis und dem bereits industrialisierten Zürich, als dass hier die konfessionelle Frage hineinspielt.

Moderne gegen Vormoderne
Die zugespitzte Religionspolemik liefert indes die gestanzten Formeln, um den Kampf einer in der Vormoderne verharrenden Bevölkerung mit den liberalen und radikalen Erneuerern auszufechten. So kommt auch der Bahn- und Bankenpionier Alfred Escher 1845 als junger Politiker im Zürcher Kantonsrat auf die gruslige Walliser Bestattungsgeschichte zurück. Escher, nicht fromm, aber durchaus machtbewusst auch Mitglied des Zürcher Kirchenrats, argumentiert in dieser Debatte mit religiösen Obertönen. Sein zentrales Motiv sei aber, so Meier, die Maschinenstürmer, Universitätsfeinde und Eisenbahngegner, die beharrlich auf den Föderalismus pochten, politisch auszuschalten.

So treffen sich die beiden in ihrem Resümee: Der Kulturkampf ist mehr vom Ringen um die Moderne bestimmt, als von einer konfessionalistischen Frontstellung.

Delf Bucher / reformiert. / 14. März 2017

Kulturkampf. Die Schweiz des 19. Jahrhunderts im Spiegel von heute. Mit Essays von Josef Lang und Pirmin Meier. Verlag Hier und Jetzt, 2016 , 39 Franken

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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