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Meldepflicht mit diktatorischen Zügen

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30.03.2017
Im Zuge der Händedruck-Affäre an einer Baselbieter Schule, die vor einem Jahr weltweit für Schlagzeilen sorgte, will die Regierung Schülerinnen und Schüler jetzt per Gesetz dazu verpflichten, «hiesige Werte» zu achten. Die drei Baselbieter Landeskirchen sind dagegen.

Der Händedruck, den in Therwil zwei muslimische Sekundarschüler ihrer Lehrerin aus religiösen Gründen verweigerten, zieht auch nach einem Jahr noch seine Kreise. Die Baselbieter Regierung reagiert nun mit einer Vorlage zur Änderung der Verfassung und des Bildungsgesetzes. In die Verfassung soll, dass bürgerliche Pflichten Vorrang vor Weltanschauungen und religiösen Vorschriften haben. Ins Bildungsgesetz, dass Schüler «die hiesigen gesellschaftlichen Werte» achten sollen und die Schulen Integrationsprobleme mit ausländischen Schülern bei der Ausländerbehörde melden müssen. Die drei Baselbieter Landeskirchen lehnen diese Änderungen in einer gemeinsamen Stellungnahme ab.

Die Verfassungsänderung gefährde die Grundrechte, indem sie die Erfüllung bürgerlicher Pflichten generell vorschreibt und keinen Spielraum lasse, schreiben die Landeskirchen. «Mit Sorge beobachten die Kirchen, dass in der politischen Auseinandersetzung zunehmend der Volkswille über die Menschenrechte gestellt wird.» Bei kulturellen und religiösen Konflikten müsse man den Einzelfall betrachten und die verschiedenen Interessen gegeneinander abwägen.

Werte wandeln sich
Auch die geplanten gesetzlichen Massnahmen verfehlten das Ziel, meinen die Kirchen. Werte, Bräuche und Sitten seien einem steten Wandel unterworfen. Sie dienten dazu, ausserhalb des Rechts das soziale Verhalten zu regeln und liessen sich darum nicht festschreiben und mit Gesetzen erzwingen.

Eine erfolgreiche Integration führe über Toleranz und Respekt, betonen die Kirchen. Sie warnen davor, dass die Meldepflicht bei Integrationsproblemen von Ausländern das Gegenteil erreichen und der Integration schaden kann, indem sie unter anderem der Gründung geschlossener Privatschulen Vorschub leisten könnte. «Unsere Volksschulen bieten die besten Chancen für die Integration», sagt der reformierte Baselbieter Kirchenratspräsident Martin Stingelin. «Dort kommt es unter den Schülerinnen und Schülern jeden Tag zu Begegnungen mit unterschiedlichen Traditionen, die das Verständnis füreinander fördern.»

Für die Kirchen bietet das geltende Recht eine hinreichende Grundlage, um Schüler und Eltern zu disziplinieren, falls sie den Bildungsauftrag der Schule gefährden. In wenigen Fällen seien «legitimer rechtlicher Zwang und bei Bedarf auch der Rechtsmittelweg einer richterlichen Instanz» angebracht. Als Beispiel nennen sie das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der den obligatorischen Schwimmunterricht für muslimische Mädchen für rechtens erklärte.

Ausländer nicht denunzieren
Die Schule sorge für die gesellschaftliche Integration der Kinder und Jugendlichen, so die Kirchen. Sie finden es stossend, dass die Meldepflicht, die sie mit «Denunziation» vergleichen, nur für ausländische Schüler gelten soll, und erachten es als «überaus gefährlich», der Schule zusätzlich eine «ausländerpolizeiliche Aufgabe» zu überbürden.

«Natürlich muss man Übergriffe melden», sagt Martin Stingelin. «Doch geht es hier um nicht klar definierte Vorfälle. Wann gilt ein Integrationsproblem im Zusammenhang mit Weltanschauungen und religiösen Vorschriften als gravierend? Wenn es um Überzeugungen geht, bleibt die Meldepflicht unscharf und erhält diktatorische Züge, wenn Andersdenkende und -handelnde angezeigt werden», warnt der Kirchenratspräsident.

Ein Leitfaden hilft
Die Kirchen verweisen auf den Leitfaden «Gelebte Religion im Schulalltag» des Amtes für Volksschulen. Die Handreichung helfe mit ihren Empfehlungen den Lehrpersonen und Schulbehörden bei Fragen zum Umgang mit der Religionsfreiheit in der Schule. Auch die Landeskirchen übernähmen Verantwortung für ein friedliches Miteinander, etwa am «Runden Tisch der Religionen beider Basel», wo sich die Vertreter der Kirchen und verschiedenen Religionsgemeinschaften seit 2007 mit Konflikten des multireligiösen Zusammenlebens befassen und Lösungen suchen.

Dazu schlagen die Kirchen Weiterbildungen im Bereich interkulturelle Konfliktbewältigung für schulische Mitarbeitende und Behörden vor und empfehlen das im Lehrplan 21 vorgesehene Fach «Ethik, Religionen, Gemeinschaft». «Das Fach behandelt genau die Themen, die es braucht, um einander mit dem nötigen Wissen und Toleranz begegnen zu können. Die Schüler lernen die eigene und fremde Religionen kennen. Dies weckt das gegenseitige Verständnis», sagt Martin Stingelin.

Die vollständige Stellungnahme der Landeskirchen

Karin Müller / 30. März 2017

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