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Der Triumph am Kreuz

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10.01.2020
Ein irritierender und nachdenklicher Auftakt ins Neue Jahr mit einem Bibel-Marathon: Vier Schauspieler haben in der Zürcher St. Anna-Kapelle das ganze Johannes-Evangelium gelesen.

Das Licht geht aus im hohen Saalbau der St. Anna-Kapelle. Das Licht gehört dem Wort, «das zu Fleisch geworden ist», wie das Johannes-Evangelium beginnt. Das Licht scheint im dunklen Raum nur auf die Schauspielerin Miriam Japp, die am 1. Januar die Marathon-Lesung des Johannes-Evangeliums beginnt. «Am Anfang war das Wort, das Wort war bei Gott» – die berühmte Zeile im eigenen Sprachrhythmus gelesen, zieht die über hundert Menschen sofort in den Bann. Dass Johannes, der Lieblingsjünger Jesus, nicht der Autor der Schrift war, hatte das bibelinteressierte Publikum bereits vorher von Irene Gysel erfahren. «Hier kommt einem ein ganz anderer Jesus entgegen als in den anderen Evangelien», stimmt die Zürcher Alt-Kirchenrätin das Publikum auf das Johannes-Evangelium ein.

Vier Stunden dauert das Wechselspiel, das viel Nachdenken erfordert und einem die Besonderheiten dieses eigenständigen Evangeliums zeigt. Dass dieser Bibelmarathon nicht ermüdet, dafür sorgen die vier Schauspieler und Schauspielerinnen Eleni Haupt, Miriam Japp, Oscar Sales Bingisser und Ingo Ospelt. Stefan Haupt, Regisseur des Zwingli-Films, hat Regie geführt.

«Es ist vollbracht!»
Schon zwei Wochen zuvor hatte Kirchenrätin Esther Straub, die über das Johannes-Evangelium promoviert hat, in der Einführung auf die ganz anders gestaltete Passionsgeschichte hingewiesen. Das wird besonders augenfällig bei den Abschiedsworten. In den beiden Evangelien nach Markus und Matthäus fleht Jesus. Triumphal in der Pose der vollendeten Mission sagt der Johannes-Jesus: «Es ist vollbracht!» (Joh. 19,30). Esther Straub spricht dann auch davon, dass Jesus «siegesgewiss zur Kreuzigung schreitet». Schon die Szene der Gefangennahme nimmt dies vorweg. Hier bittet Jesus im Lukas-Evangelium seinen Vater. «Lass diesen Kelch an mir vorübergehen!» (Luk 14,36). Dagegen sagt er ganz souverän und ohne zu zögern zu Petrus, der sich für seinen Meister wehren will: «Den Kelch, den mir mein Vater gegeben hat – soll ich ihn etwa nicht trinken?» (Joh. 18,11)

Mit seinem Tod am Kreuz hat Jesus souverän die alten Prophetien bestätigt. Selbstbewusst tritt er nun ein in die «Herrlichkeit Gottes», die aufs Engste mit ihm verknüpft ist: «Ich und der Vater sind eins» (Joh. 10.30). Deswegen ist es auch kein Tod am Kreuz, sondern der Übertritt in die himmlische Sphäre, in die «Herrlichkeit Gottes».

Wunder für Wankelmütige
Dieses Leitmotiv des Evangeliums, das sich zwischen der irdischen und himmlischen Sphäre hin und her bewegt, kommt auch bei der Lazarus-Geschichte gut zum Ausdruck. Jesus ist erst über die beiden kleinmütigen Schwestern Maria und Marta verärgert, weil sie den irdischen Tod nicht als einen Übergang in die Herrlichkeit Gottes sehen. Aber schliesslich macht er das Unvorstellbare. Er erweckt den schon stinkenden Leib von Lazarus zum Leben. Getan hat er dies «um des Volkes willen, das da ringsum steht, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.» (Joh. 11,42)

Ganz der katholischen Eucharistie-Vorstellung entsprechend kommt einem die johannitische Blutmystik vor. «Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohnes esst und sein Blut trinkt, habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch verzehrt und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben, und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag», sagt Jesus (Joh. 6, 53.54). Aber dann folgt wieder wenige Verse später die Sphäre des Lichts und Geistes, die diesen Satz aufhebt: «Der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch vermag nichts.» (Joh. 6, 63)

Antijüdisches Evangelium
Eindrucksvoll und lebendig wird der Auftritt Jesu vor dem hohen jüdischen Rat und vor Pilatus gelesen. In diesen ausschmückenden Szenen wächst indes ein Unbehagen. Schon Esther Straub markierte in ihrem Referat den problematischen Antijudaismus des Johannes-Evangeliums, das sicher judenfeindlichste Evangelium der Bibel, das in den furchtbaren Satz gipfelt: «Ihr habt den Teufel zum Vater, und ihr wollt tun, was er begehrt. Jener war ein Mörder von Anfang an und stand nicht in der Wahrheit» (Joh. 8, 44). «Die prägnante antijüdische Ausrichtung des Johannes-Evangeliums lässt sich angesichts des Holocausts nicht einfach aus der historischen Situation heraus entschuldigen», so Straub.

Etwas taumelnd verlassen die Zuhörerinnen und Zuhörer den nun beleuchtenden Saal. Dieses Unbedingtsein eines Glaubens, der nur das Entweder-Oder von Licht und Finsternis, von Wahrheit und Lüge, von ewigem Leben und Verdammung kennt, irritiert den modernen Menschen. Viele theologische Knacknüsse werden nach Hause genommen, die sich wahrscheinlich auch im Jahr 2020 nicht ganz auflösen lassen.

Delf Bucher, reformiert.info, 10. Januar 2020

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