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Nach 25 Jahren ist Seelsorge.net ein Erfolgsmodell

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15.12.2020
Eine Auswertung des E-Mail-Dienstes Seelsorge.net zeigt, dass das Angebot gut ankommt. Es erreicht auch junge und kirchenferne Menschen. Doch es gibt Entwicklungsmöglichkeiten.

Bereits 1995 wurde der E-Mail-Dienst Seelsorge.net gegründet. Zum 25-jährigen Jubiläum hat das interkonfessionell getragene Angebot sich selbst evaluieren lassen. Die Untersuchung des Unternehmens Interface zeigte, dass die Beratungsform den Bedürfnissen entspricht – und zwar vor allem von jüngeren Menschen. Etwa 40% der Hilfesuchenden dürften unter 30 Jahren alt sein. Ausserdem würden sich auch viele kirchenferne Personen an den Dienst wenden.

Bei Seelsorge.net können Hilfesuchende anonym und niederschwellig per Mail ihre Sorgen äussern und erhalten ebenfalls per Mail Antworten. Knapp 30 ehrenamtliche Fachpersonen mit Hintergründen in Theologie, Psychologie, Psychiatrie und Sozialarbeit beraten die Fragenden kostenlos. Getragen wird das Angebot von reformierten und katholischen Institutionen.

Die Evaluation zeigte, dass die Beratung «auf einem hohen Niveau» erfolgt, wie es im Schlussbericht heisst. Wo es trotzdem noch Potenzial gibt und welches die Schwierigkeiten sind, sagt Geschäftsführerin Martina Rychen im Interview.

Wie hat sich die Beanspruchung in den 25 Jahren entwickelt?
Wir haben nicht seit Anfang genaue Zahlen – 1995 war ja auch das Internet noch ziemlich neu, und der Dienst wurde zuerst vor allem kirchenintern verbreitet. Die heutige Strategie ist anders: Wir machen Werbung in Suchmaschinen, alles läuft übers Web. Das Wachstum ist stetig: Über die letzten Jahre hatten wir monatlich jeweils rund 100 Neuanfragen. 2020 gab es vor allem ab April bisher eine Steigerung von etwa 50 Prozent.

Ist Corona schuld?
Vom Inhalt der Anliegen her nur indirekt: Nicht Covid-19 oder die Auswirkungen der Krankheit sind Thema, sondern ungefähr die gleichen wie vorher schon – vorab Probleme rund um Beziehungen. Aber die Pandemie hat die Auswirkungen dieser Probleme verschärft, so dass sie jetzt viel häufiger so gross wurden, dass die Menschen deswegen Hilfe suchen. Aber auch inhaltlich sind wir stärker gefordert: Noch vor drei Jahren gab es pro Fall durchschnittlich drei Mails. Heute sind wir bei sechs Mails, und es sind oft lange Texte. Und es ist eine sehr intensive Arbeit, darauf einzugehen und die richtigen Worte zu finden beim Zurückschreiben.

Wie kommen denn die Beratenden zu Seelsorge.net?
Es ist sehr schwierig, Personen zu finden, die diese Arbeit ehrenamtlich ausführen wollen. Es melden sich viele, die helfen wollen. Aber die Anforderungen sind sehr hoch. Wir brauchen Leute mit Ausbildung und Erfahrung, ausserdem müssen sie Kirchenmitglied sein. Glücklicherweise konnten wir Anfang Jahr neun Neue gewinnen, das hilft enorm.

Was braucht es konkret, bis jemand bei Ihnen beraten kann?
Zuerst müssen die Interessierten einen Aufnahmeprozess durchlaufen, in dem bereits Fallbeispiele zu lösen sind. Unser Beratungskonzept, das ein sehr wichtiges Element unseres Dienstes ist, wird eingehend studiert und reflektiert. Eine Kommission führt anschliessend ein Interview mit den Bewerbenden, dann gibt es einen Vorschlag bei der Trägerschaftskommission. Es folgt ein Einführungskurs über zwei Tage und die technische Einführung, bis schliesslich der erste Fall zusammen mit einer Patin oder einem Paten bearbeitet werden kann. Durch diese erfolgt auch während einem halben Jahr eine intensive Begleitung. Erst dann kann eine Beraterin, ein Berater selbständig Fälle bearbeiten.

Das klingt sehr anforderungsreich.
Ja, das ist es auch. Man muss sich aber bewusst sein, was Beratung per E-Mail bedeutet: Alle Beteiligten haben die gesamte Kommunikation permanent vor sich. Nichts geht vergessen. Und es fehlt alles Nonverbale, das in direkten Gesprächen möglich ist. Beratende müssen sich daher sehr bewusst sein, was ihr Schreiben bewirken kann; die Sprache ist absolut essenziell. Deshalb gibt es für alle jährlich vier obligatorische Sitzungen mit Supervision, zudem bieten wir Weiterbildungen an.

Die Evaluation zeigte, dass drei Grundsätze in der Praxis schwierig umzusetzen seien: die Orientierung an Bedürfnissen, die angepasste Sprache und die transparente Vorgehensstrategie. Welches sind die Schwierigkeiten?
Sich völlig auf die Bedürfnisse der Anfragenden zu konzentrieren, ist leider nicht immer möglich. Unsere Beratungshaltung erlaubt uns nicht, auf alle Bedürfnisse einzugehen. Manchmal besteht unsere Beratung gerade darin, dies nicht zu tun. Diese Abwägung ist zunehmend schwierig. Die Sprache ist vor allem auch eine Generationensache. Unsere Beratenden sind durchschnittlich 62 Jahre alt, die Userinnen und User deutlich jünger. Und die transparente Vorgehensstrategie bedeutet, dass unsere Ehrenamtlichen den Fragenden immer klar darlegen, wie sie vorgehen, wie sie den Prozess gestalten möchten, was allenfalls noch kommt, und sie müssen nach dem Einverständnis fragen. Das immer zu befolgen, ist ebenfalls fordernd.

Religiöse und spirituelle Themen sollten gezielter angesprochen werden, war auch ein Befund der Evaluation. Was heisst das für Sie?
Das hat uns etwas erstaunt. Im Beratungskonzept haben wir klar festgehalten, dass die Seelsorgenden aus einer christlichen Haltung heraus agieren, aber diese nicht explizit zum Thema machen. Offenbar gehen nun aber Erwartungen doch stärker in diese Richtung, als wir dachten. Wie wir damit umgehen wollen, müssen wir noch diskutieren.

Und welches sind aus Ihrer Sicht die dringendsten Veränderungen oder Verbesserungen?
Die Evaluation zeigte ja, dass wir sehr vieles sehr gut machen. Es gibt also zum Glück keine ganz dringlichen Baustellen. Aus meiner Sicht wichtig ist es aber, die Qualitätssicherung zu professionalisieren vor allem, indem wir die Strukturen klarer regeln. Also was passiert und wer entscheidet, wenn eine zweifelhafte Qualität festgestellt wird; wo wird das gemeldet und wie geht es dann weiter. Grundsätzlich zeigt für uns die Arbeit aber klar, dass unser Angebot sehr nötig ist.

Marius Schären, reformiert.info

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