Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug

Wenn Jugendliche bei Gleichaltrigen Unterstützung finden

min
01.07.2016
Cédric Anthon (18) ist ausgebildeter Peerberater. Per Mail begleitet er Jugendliche in Krisensituationen. In seiner Maturaarbeit gibt er Einblick in den Alltag als ehrenamtlicher Onlinebegleiter. Lebensretter sei er nicht, vielmehr erste Anlaufstelle und Vermittler.

Cédric Anthon sitzt am sommerlich glitzernden Thunersee. Ein gut gelaunter, junger Mann, der eben die Matura geschafft hat und so rasch wie möglich mit dem Medizinstudium beginnen will. Schwer vorstellbar, dass er nachts am Computer sitzt und Mails beantwortet von Jugendlichen, denen es schlecht geht. So schlecht, dass sie gar an Suizid denken. Warum tut er das? Hat er selber schon schwere Krisen durchgestanden? «Nein, bis jetzt war ich noch nie so richtig im Tief», gesteht er. «Aber zugehört habe ich schon oft. Vor allem Kolleginnen erzählen mir von ihren Problemen, und ich bin gerne in der Berater-Rolle.»

Suizid als häufigste Todesursache
Auf der Suche nach einem Thema für seine Maturaarbeit befasste sich Cédric Anthon mit der «Volkskrankheit» Depression. Auch wenn er selber eher ein heiterer Mensch sei, berührten ihn die Geschichten, meint er. Und als er realisierte, dass Depressionen zu den Hauptursachen für Suizide gehörten, habe er sich einige Statistiken angeschaut. «Ich wusste bis dahin nicht, wie viele Menschen in der Schweiz offenbar nicht mehr weiterwissen und ihrem Leben ein Ende setzen. Dass darunter so viele Jugendliche sind, hat mich schockiert.»

Tatsächlich gibt es hierzulande jährlich zwischen 1300 und 1400 Suizide. Von den Betroffenen sind rund 200 unter 35-jährig. 70 Prozent davon sind Männer. «Als ich bei meiner Recherche dann das Beratungsangebot für Jugendliche Suizidgefährdete U25 Schweiz entdeckte, war mir klar: da mache ich mit und schreibe darüber meine Arbeit.»

Hilfe zur Selbsthilfe
Seit November 2014 reagiert Cédric Anthon nun also immer wieder auf Mails von mehr oder weniger verzweifelten jungen Menschen. Bis vor kurzem habe er zwei Beratungen parallel gehabt, sagt er, einen jungen Mann und ein Mädchen. Oft seien die Schreibenden sehr offen und könnten in der Anonymität viel von sich erzählen, was sie sonst keinem anvertrauten. «Oft ist bereits die Tatsache, dass es von jemandem gelesen wird, für die Hilfesuchenden unterstützend. Und unabhängig vom Inhalt heisst meine Reaktion auch immer: Du bist nicht allein.» Manchmal gehe er in seiner Antwort konkret auf Themen wie Schlaflosigkeit oder Ängste ein. Nie aber würde er eine Diagnose stellen oder zu viele Ratschläge erteilen. «Am Anfang geht es ohnehin vor allem darum, eine stabile Beziehung aufzubauen. Erst dann können Anregungen zu Lösungen überhaupt ankommen.»

Ausbildung und Supervision
Im Prinzip kann jeder, der zwischen 17 und 25 Jahre alt ist, Peerberater werden. Im Vorstellungsgespräch bei der Teamleiterin von «U25 Schweiz» wird geprüft, ob der künftige «Peer» psychisch stabil ist und sich selber nicht in einer Krise befindet. Ob sie oder er zuverlässig und teamfähig ist und genügend freie Zeit für Beratungen hat. In einer Grundausbildung an etwa zehn Abenden werden die jungen Leute fit gemacht für ihre Einsätze: Sie lernen einiges über Krankheitsbilder wie Depression, Essstörungen oder selbstverletzendes Verhalten. Sie besprechen verschiedene Beratungsformen anhand von Fallbeispielen und üben, wie man auf unterschiedliche Mails reagiert. Anschliessend werden alle vierzehn Tage in Supervisionsgruppen aktuelle Fälle besprochen.

Lernen fürs Leben
So sind die Beraterinnen und Berater in ihrer anspruchsvollen Aufgabe nie allein. «Das ist sehr wichtig», betont Cédric. «Die Geschichten könnten einen schon belasten. Aber durch die regelmässigen Treffen bin ich mir immer wieder bewusst, ich bin kein Lebensretter, auch kein Psychologe. Ich begegne den Mailenden auf Augenhöhe und versuche, einen kleinen Funken Hoffnung zurückzugeben. Dabei lerne auch ich selber viel fürs Leben.»

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Katharina Kilchenmann / reformiert. / 1. Juli 2016

Unsere Empfehlungen

69-Jährige im neuen Look

69-Jährige im neuen Look

Das «Wort zum Sonntag» gehört zu den ältesten Sendungen von SRF. Jetzt wurde ihr Auftritt optisch überarbeitet. Über die alte Sendung in neuem Glanz.