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«Das Zwingli-Denkmal sollte man entfernen»

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12.08.2016
Peter Opitz, Professor für Reformationsgeschichte, erläutert auf einem Spaziergang vier wichtige Zwingli-Locations in Zürich.

1. Helferei
«Wir stehen hier vor der Helferei, Zwinglis Amtswohnung. Mit Helfer war der Pfarrer gemeint. Zwingli war nicht der Hauptpriester. Als sogenannter Leutpriester war er für die Leute, das gewöhnliche Volk, zuständig. Er war zwar eine wichtige Gestalt in der Reformation, aber nicht einfach der grosse Lichtbringer, an dem sich alle orientiert haben, sondern bodenständig, ein Eidgenosse unter Eidgenossen.

Sprechend ist der Vergleich der Helferei mit dem Luther-Haus in Wittenberg: Dort wurde aus Luthers Wohnhaus ein publikumswirksames Museum gemacht, und das Reformationsgedenken wird von manchen als Lutherkult begangen.

Kein Herrscher, sondern Berater
Die Amtswohnung von Zwingli ist ein Kulturhaus, nicht einmal ein rein kirchliches, es ist auch kein Wallfahrtsort für den Tourismus. Das spiegelt die Anfänge und den Charakter der Zürcher Reformation: Zwingli wollte die Gemeinschaft reformieren, er war kommunikativ, er argumentierte für seine Sache. Er war kein Herrscher, sondern Berater. Der Stadtrat und die Zünfte von Zürich haben die Reformation eingeführt und dabei Zwinglis Ideen nie eins zu eins übernommen.

Das Gedenkschild an der Helferei verkauft Zwingli übrigens ziemlich schlecht: Anstatt dass man geschrieben hätte ‹Hier lebte Zwingli, der die Gesellschaft reformiert und die Armenfürsorge eingeführt hat›, steht nur: ‹Von hier zog Zwingli in den Krieg›. Das Schild zeigt die Distanz, die wir heute zu Zwingli haben.»

2. Grossmünster
«Es ist immer noch klar eine katholische Kirche. Zwar sind die Wände kahl und die Kirche karg, aber der Chor ist erhöht, hier zelebrierten die Priester die Messe wie eine Art Show auf der Bühne. Zwingli wollte aber weder einen erhöhten Chor noch einen Altar, sondern einen Tisch, um den herum die Leute Abendmahl feierten. Er wollte Augenhöhe.

Der Tisch sollte deshalb im ‹Gefletz› stehen, vorne im Kirchenschiff, aber auf dem Boden, auf dem die Menschen standen. Das ist theologisch wichtig, hatte aber auch sozial und politisch Konsequenzen. So ist der gefeierte Christus plötzlich mitten in der Gemeinde und alle sind gleich.

Der sogenannte Bildersturm
Im Grossmünster sieht man auch die Folgen des sogenannten Bildersturms. Damit waren eigentlich nicht bildliche Darstellungen gemeint, sondern alle Kultobjekte, vor denen man die dort abgebildeten Heiligen anrufen konnte. Der Stadtrat beschloss, die Objekte zu entfernen. Sie wurden an die Spender zurückgegeben. Wenn man sie nicht eruieren konnte, wurden die Objekte verkauft, und der Erlös ging in die Armenkasse.

Das ging ganz gesittet und ordentlich zu und her, das war kein Sturm. Und wenn Bilder so hoch hingen, dass man sie nicht verehren konnte, dann liess man sie. Deshalb gibt es auch die Fenster-Glasmalereien, für die Zürich ja unterdessen berühmt ist. Gegen verzierte Kirchenfenster hatte Zwingli nie etwas einzuwenden.»

3. Zwingli-Denkmal
«Dieses Denkmal von Philipp Natter sollte man eigentlich entfernen. Es erzählt viel mehr über das Entstehungsjahr 1885 und das 19. Jahrhundert als über Zwingli. Und es ist nicht unschuldig an der Distanz, die viele heute zu Zwingli haben. Das 19. Jahrhundert war die Zeit der grossen Helden, die man auf üppigen Monumenten mit riesigen Sockeln feierte. Man wollte diese Helden als politische Helden für die Zukunft präsentieren.

Das ist in die Schweiz übergeschwappt. Also nahm man eine Figur aus der Vergangenheit und inszenierte sie als politische Zukunftsgestalt. Dass man Zwingli vor allem als Machtpolitiker sah, sieht man am Schwert. Die Bibel hält er zwar schon auch noch, aber eher so nebenbei. Ich glaube, Zwingli fände dieses Denkmal gar nicht angebracht, und man hat Zwingli überhaupt nicht begriffen, wenn man ihn so darstellt. Er würde sich völlig missverstanden fühlen. Die Augenhöhe ging hier buchstäblich verloren.»

4. «Schipfe» an der Limmat
«Hier wurde 1527 der Täufer Felix Manz ertränkt. Es war die erste Täuferhinrichtung überhaupt, und der Ort wird oft von Mennoniten, den Täufern, besucht. Insgesamt wurden in Zürich sechs Täufer hingerichtet. Im europäischen Vergleich ist das eine kleine Zahl, aber jede Hinrichtung ist natürlich eine zu viel.

Die Zürcher Täufer waren zunächst Anhänger von Zwingli, waren aber radikaler. Sie sagten: Ein wahrer Christ kann kein obrigkeitliches Amt ausüben. Für den Stadtrat war das politischer Aufruhr, denn das konnte nicht anders verstanden werden als: Die ‹christliche› Obrigkeit ist illegitim. Er bestrafte sie zunächst mit Geldbussen, im Wiederholungsfall mit Gefängnis und bei dauerhaftem Ungehorsam mit dem Tod.

«Es muss halt nun mal so sein»
Zwingli hat mit den Täufern diskutiert und ihre Ideen abgelehnt, theologisch, aber auch politisch. Am Vorabend der Hinrichtung war er gemäss den Quellen sehr traurig, hat aber sinngemäss gesagt: «Es muss halt nun mal so sein.» Er hätte sich vielleicht beim Stadtrat mehr für die Täufer einsetzen können, aber er war auch Kind seiner Zeit.

Ein Christentum, das sich für religiöse Toleranz einsetzt, war erst nach der Aufklärung möglich. Vorher waren Staat und Religion nicht zu trennen. Ein Staat ohne gemeinsames religiöses Fundament war nicht denkbar, das hat schon vorchristliche Wurzeln.

Das Strafrecht im 16. Jahrhundert war übrigens in ganz Europa sehr hart, ja brutal. Hinrichtungen waren normal. Wer zum Beispiel zu Unrecht eine Pension annahm und damit dem obrigkeitlichen Dekret nicht gehorchte, wurde hingerichtet. Wenn man das Strafgesetz für das Deutsche Reich von 1532 liest, überkommt einen das Schaudern bei all den drakonischen Strafen wie Pfählen, Rädern, Verbrennen, Ertränken oder Köpfen.»

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Aufgezeichnet von Matthias Böhni / ref.ch / 12. August 2016

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