Das Beste im Menschen hervorholen
Mit Legosteinen stellen Ralph Moser und Silvan Groher im Film «Leben ohne Lohn» die aktuelle Einkommenslage in der Schweiz dar. Am Boden kniend setzen sie Klötzchen an Klötzchen, eine sehr langsam ansteigende Kurve entsteht, denn 50 Prozent der Schweizer Haushalte erwirtschaften im Jahr weniger als 53'000 Franken.
Erst ab einem Einkommen von 150'000 Franken wird die Kurve steiler – und schiesst schliesslich so stark in die Höhe, dass Silvan Groher auf eine Leiter klettern muss, um das Jahreseinkommen der Superreichen abzubilden. Kein einfaches Unterfangen: Weil sich das viele Geld auf so wenige Haushalte verteilt, wird die Konstruktion immer instabiler. Der Turm beginnt heftig zu schwanken, und was nun passiert, soll nicht verraten werden.
Soziale Ungleichheiten abfedern
Nicht nur im Legomodell gibt die Einkommensverteilung in unserer Gesellschaft Anlass zur Sorge. «Wir haben eine massive Arm-Reich-Schere, die in den letzten Jahren immer grösser geworden ist», sagt Silvan Groher. Der parteilose Aktivist und 49-jährige Familienvater engagiert sich mit dem Software-Ingenieur Ralph Moser und weiteren Gleichgesinnten seit mehreren Jahren in verschiedenen Projekten für eine Umsetzung des bedingungslosen Grundeinkommens. Von diesem erhofft man sich, dass es soziale Ungleichheiten abfedern könnte. Die freischaffenden Filmemacher Regula und Heinz Tobler-Studer haben Groher und Moser während drei Jahren begleitet.
Grundeinkommen als christlicher Wert
Die Idee eines Grundeinkommens ist nicht neu. Bereits 2016 konnte die Schweizer Bevölkerung an der Urne entscheiden, ob in Zukunft jede erwachsene Person und jedes Kind ein monatliches Einkommen erhalten soll, das die Grundbedürfnisse deckt. Ein solches Grundeinkommen entspreche einem christlichen Wert, zitierte der «Kirchenbote» damals die Theologin Ina Praetorius. Gerade der biblische und zutiefst reformierte Gedanke, dass der gnädige Gott uns Menschen akzeptiere, ohne dass wir zuerst etwas leisten müssen, laufe auf ein Grundeinkommen hinaus, so Praetorius: «Gott liebt uns bedingungslos.»
Knapp ein Viertel der Schweizer Bevölkerung stimmte 2016 der Grundeinkommens-Initiative zu. Sechs Jahre später, im September 2022, waren es in der Stadt Zürich bereits 46,1 Prozent. Groher, Moser und ihr Netzwerk hatten die Zürcher Initiative lanciert. Man wollte in einem wissenschaftlichen Pilotversuch herausfinden, wie sich ein Grundeinkommen auf den einzelnen Menschen und die Gesellschaft auswirke.
Community-Geld für eine bestimmte Zeit
Der Dok-Film «Leben ohne Lohn» zeigt, wie die kreativen Köpfe Groher und Moser mit einer wachsenden Community das Thema Grundeinkommen spielerisch und empirisch erforschen, wie sie den Diskurs darüber prägen sowie Initiativen, Experimente und Projekte lancieren.
Zum Beispiel Ting. Seit 2020 baut der Verein mit den monatlichen Beiträgen seiner Mitglieder ein gemeinsames Vermögen auf. Dieses Geld steht als zeitlich begrenztes Einkommen zur Verfügung, um Weiterentwicklung zu ermöglichen, etwa um den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. Möchte ein Mitglied Community-Geld beziehen, wird das Vorhaben von anderen Mitgliedern sowie externen Ethikerinnen entlang von vier Kriterien geprüft.
«Mich faszinieren Systeme, die das Beste im Menschen hervorholen», sagt Ting-Mitglied Vardon in «Leben ohne Lohn». Inzwischen zählen 550 Menschen zur Ting-Community.Iim DOK-Film kann man einige von ihnen kennenlernen, auch solche, die selbst im Moment kein Geld brauchen, sondern ihr eigenes freiwillig teilen, weil sie gerade genug haben und die Idee toll finden.
Das Filmteam lässt auch kritische Stimmen zum Grundeinkommen zu Wort kommen. Lukas Rühli, Ökonom bei Avenir Suisse, glaubt zwar nicht, dass ein derartiger Umbau des Wirtschaftssystems funktionieren würde, überrascht aber mit einem neuen Ansatz: Die AHV könnte bei flexibler Anwendung auch jungen Menschen für eine limitierte Zeit ein Grundeinkommen ermöglichen. Mehr darüber im Film.
SRF-Dok «Leben ohne Lohn»
Ein Film von Regula und Heinz Tobler-Studer über das Grundeinkommen und die Ting-Community.
Erstausstrahlung: Donnerstag, 16. Mai 2024 um 20.50 Uhr auf SRF 1 (live) danach für mehrere Wochen in der SRF-Mediathek.
Das Beste im Menschen hervorholen