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Burn-out ist auch eine Sinnkrise

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21.03.2016
Bei Burn-out spielen verschiedene Faktoren mit: Arbeitsbelastung, persönlicher Charakter, Familie und Umfeld. Für den Psychiater und Buchautoren Daniel Hell ist es auch Ausdruck einer spirituellen Krise.

Herr Hell, heute werden etliche Männer und Frauen wegen Burn-out krankgeschrieben. Was ist los?
Die beruflichen Anforderungen haben sich verändert. Arbeiteten vor einem halben Jahrhundert noch 75 Prozent der Bevölkerung vor allem körperlich in der Industrie oder Landwirtschaft, so sind es heute noch knapp 25 Prozent. Die grosse Mehrheit ist in Büros oder Dienstleistungsbetrieben beschäftigt und mental und psychisch gefordert. Damit haben sich die Arbeitsprobleme verschoben – überspitzt gesagt vom Bewegungsapparat zum Kopf. Zudem hat sich der Arbeitsmarkt liberalisiert. Heute zählen im Unternehmen weniger Konstanz und Treue als Flexibilität und Effizienz. Vom Einzelnen wird vermehrt erwartet, dass er für sich selber sorgt. Das erhöht den Erfolgsdruck. Immer mehr Menschen fühlen sich überfordert und erschöpft.

Die Wirtschaft nennt die Menschen «Human Ressources». Verheizt die Arbeitswelt die Leute?
Die fortschreitende Ökonomisierung führt leider – sogar in Spitälern – teilweise dazu, dass Menschen für einen bestimmten Zweck instrumentalisiert und als Ressourcen für die Gewinnmaximierung genutzt werden.

Burn-out gilt nicht als Krankheit. Was ist es? Eine Erschöpfung? Eine Depression? Oder die Modekrankheit unserer Zeit?
Am ehesten ein Erschöpfungsprozess. Natürlich spielen auch Einflüsse der Medien eine Rolle, dass sich Burn-out fast epidemisch verbreitet hat. Aber Erschöpfung ist schon ein ernst zu nehmendes Problem. Es kann zu schwerwiegenden psychischen Krankheiten wie Depressionen und Angststörungen führen.

Wird Burn-out eher akzeptiert als Depressionen?
Tendenziell ja, gerade auch von Männern. Man muss zwischen Burn-out und Depression unterscheiden, auch wenn es fliessende Übergänge gibt. Burn-out ist keine anerkannte psychiatrische Diagnose. Es ist vielmehr ein Konzept, das erklärt, wie es zur Erschöpfung an der Arbeit kommt. Dieser Erschöpfungsprozess kann dann in eine Depression münden.

Welche Typen sind besonders gefährdet?
Zum einen spielt die Arbeitssituation eine entscheidende Rolle. Zum andern sind persönliche Eigenschaften bedeutsam. Beides greift oft wie Schlüssel und Schloss ineinander. Eine Neigung zum Perfektionismus oder ein hohes persönliches Leistungsideal kann dazu führen, die vom Arbeitgeber geforderten Ziele noch zu übertreffen. Ferner tragen wenig ausserberufliche Kontakte und ein grosses Bedürfnis nach Anerkennung zur Entwicklung von Burn-out bei.

Am Arbeitsplatz erfährt man zu wenig Wertschätzung?
Ja. Geringe Wertschätzung an der Arbeit macht einen Teil der Frustration aus. Sie entsteht, wenn grosser Einsatz schlecht belohnt wird. Gerade, wenn jemand weit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus ständig für das Geschäft erreichbar ist. Hier zeigt sich, dass die elektronischen Medien wie Handy und PC nicht nur einen Segen darstellen.

Deshalb besser das Geschäftshandy am Wochenende ausschalten?
Ja, wenn es möglich ist. Handy- und Internetpausen sind generell zu empfehlen.

Liegt ein Teil der Ursache in der Überforderung auch in der Doppelbelastung durch Arbeit und Familie?
Unbedingt! Burn-out-Probleme sind nicht selten mit familiären Problemen kombiniert. Das eine kann das andere verstärken und beide gemeinsam fördern den Erschöpfungsprozess.

Was kann man persönlich gegen Burn-out tun?
Günstig ist, wenn man die in Arbeit und Leistung investierte Zeit reduzieren kann und dafür Beziehungen und Freizeitaktivitäten vermehrt pflegt. Man sollte die Freiräume nicht wegen der aufkommenden Unruhe aufgeben, sondern durchhalten. Hilfreich sind ferner sportliche Aktivitäten, aber auch Entspannungsübungen, Atemtherapie, Shiatsu oder Qi Gong. Ist die Erschöpfung schon stärker ausgeprägt, so ist an eine Psychotherapie zu denken.

Was können Angehörige tun?
Angehörige sind oft mitbetroffen. Sie leiden selber unter der eingetretenen Veränderung. Verständlicherweise werden sie ungeduldig oder machen Druck. Allgemeine oder kritische Vorschläge wie «du musst dich zurücknehmen, weniger arbeiten» bringen einen selten weiter. Hilfreich sind eher ein gemeinsames Suchen nach Entlastung, gemeinsame Freizeitaktivitäten und Ermutigung. Ist ein Burn-out fortgeschritten, können Angehörige dazu beitragen, dass professionelle Hilfe aufgesucht wird.

Um aus diesem Teufelskreis auszubrechen, braucht es einen Perspektivenwechsel.
Das hängt sehr von der betroffenen Person ab und muss im Einzelfall geprüft werden. Meist gilt es, die inneren und äusseren Antreiber festzustellen und zu prüfen, ob eine Veränderung der Anstellung Sinn macht. Persönliche Wertvorstellungen sind nicht so leicht zu verändern, ebenso wenig das herrschende Wirtschaftssystem.

Ist Burn-out auch eine spirituelle Krise?
Burn-out ist nicht nur Stressfolge, sondern oft auch Ausdruck einer Sinnkrise. Diese kann nach einer vermehrten spirituellen Verwurzelung rufen.

Kann die Bibel dabei helfen?
Sie fordert, sich auf das Wesentliche, die Beziehungen, die Liebe und den Augenblick zu konzentrieren, statt sich um das Morgen zu sorgen. Manche christlichen Werte stehen im Gegensatz zu heutigen Konventionen. Sie betonen bescheidene Zurückhaltung statt Selbstdarstellung oder Grosszügigkeit statt egozentrisches Erfolgsstreben. Andererseits wurde Leistung theologisch auch als Tugend interpretiert. Ich denke, dass vor allem Gottvertrauen den Druck von Burn-out-Betroffenen, alles perfekt zu machen und alles selber im Griff zu haben, mindern kann. Übrigens haben schon die frühchristlichen Eremiten unter «unruhiger Trägheit» gelitten und dabei Bibeltexte zu Rate gezogen. Ihre Erfahrungen können noch heute hilfreich sein.

Welche Erfahrung hat am besten geholfen?

Nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern die Erschöpfung akzeptieren. Den negativen Gedanken, die bei Erschöpfung auftreten und einem wie zufliegen, nicht zustimmen, sich also nicht mit ihnen identifizieren. Den Überdruss und die Empfindung von Leere vermindern, indem man Traurigkeit und Tränen zulässt.

Interview: Tilmann Zuber, 24.3.2016

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