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Besuch in der Villa

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31.07.2020

Von Tilmann Zuber

Behringer drückte aufs Gas, der silberne BMW beschleunigte, bog in die Kurve und raste die steile Strasse hinauf. Zufrieden lehnte sich Behringer in den Sitz zurück. Er genoss es, dass ihn dieser Fall für einmal auf den Goldhügel führte. Normalerweise fahndete er unten in der Stadt, da, wo der Fluss den Müll in den Hafen schwemmte und die Armut die Leute so grau machte wie die Innenhöfe ihrer Mietskasernen. Die Motive der Verbrechen, die dort geschahen, konnte Behringer an einer Hand abzählen: Gier, Eifersucht, Drogen, verletzter Stolz und brutale Wut.

Unten glänzte die See in der Mittagshitze. Vereinzelt konnte man Segel ausmachen, die als weisse Tupfer auf dem stahlblauen Wasser schaukelten, bevor sie der Dunst am Horizont verschluckte.

Behringer betätigte den Blinker, bog in die nächste Strasse ein und fuhr an den stattlichen Villen vorbei. Die weiss getünchten Fassaden erinnerten an Dünen und Meer, die grünen Fensterläden an dunkle Bergwälder. Die weitläufigen Gärten erschienen im milden Licht der Mittagssonne aufgeräumt und friedlich. Behringer wusste, dass dies täuschte. Auch hier herrschten Eifersucht und Gier und die Drogen waren reiner als unten am Hafen. Doch man griff nicht zum Messer, sondern hetzte die Anwälte wie Kampfhunde aufeinander, unbarmherzig, brutal und genoss es, wenn der andere finanziell ausblutete.

Behringer verlangsamte das Tempo, er reckte den Kopf zur Windschutzscheibe und suchte nach der Hausnummer. 15, 17 … 21 ... «Nummer 23, gefunden!», murmelte er, als er den BMW an den Strassenrand lenkte und dann durch das Tor den geschwungenen Weg zum Anwesen hinauffuhr.

Vor der stattlichen Villa im neugotischen Stil hielt er an. Behringer stieg aus, atmete durch und knöpfte sich das Jackett zu. Es war ihm wichtig, am Tatort korrekt gekleidet aufzutreten, weniger aus Eitelkeit, sondern er war überzeugt, dass die Toten dieses letzte Stück Würde verdient hätten.

Der Kommissar schritt über den Kies zum Eingang. Der Rasen war kurz geschnitten, das Schwimmbad abgelassen. Die welken Blätter, die der Wind in die Ecken des Pools wirbelte, verrieten, dass hier schon lange keiner mehr ein Bad genossen hatte.

Behringer stieg die Stufen zum Eingang hinauf, wo ihn Jaki unter der Türe erwartete. Sein massiger Körper füllte beinahe den Rahmen aus. «Gut gefunden?», fragte Jaki und dann ohne die Antwort abzuwarten: «Folgen Sie mir, die Überraschung wartet im Schlafzimmer.»

Behringer tauchte in die Schatten der Empfangshalle und folgte Jaki den Gang entlang, immer dessen kahlem Schädel hinterher. An den Wänden hatten Impressionisten südliche Landschaften auf die Leinwand gebannt und Chagall feierte in Pastelltönen Hochzeit.

Dann betraten die beiden das Schlafzimmer. Die zugezogenen Vorhänge hüllten den Raum in ein düsteres Licht. Die Luft roch abgestanden, süsslich nach Tod. Behringer kannte diesen Geruch nur allzu gut. Manchmal glaubte er, ihn nach all den Jahrzehnten nicht mehr los zu werden. Auf dem grossen Bett lagen zwei Körper. Ein Mann und eine Frau, friedlich beieinander, als hätten sie sich kurz zur Mittagsruhe hingelegt.

«Das hat doch keinen Stil», sagte Jaki, zeigte mit dem Daumen auf die beiden und grinste verschwörerisch: «Plastiktüten vom Discounter und dann so eine Villa.»
Behringer blickte Jaki scharf an. Der verstummte und sah betreten zu Boden. Behringer wandte sich dem Bett zu und betrachtete die Toten näher. Er trug einen vornehmen Anzug, sie ein Cocktail-Kleid, als wären sie gerade von einem Dinner zurückgekehrt. Ihre mageren Körper zeugten vom Alter. Über ihre Köpfte hatte man Tüten gezogen.
«Weiss man, um wen es sich bei den Toten handelt», fragte Behringer.
«Ja, um die Besitzer des Anwesens», antwortete Jaki. «Hananias und Saphira Barnabas.»

Jaki hielt die Luft an und sah Behringer erwartungsvoll an, wie ein Hund, der auf die Belohnung wartete. Doch die Namen lösten bei Behringer nichts aus. Ohne Regung blickte er Jaki an, der zum grossen Auftritt ausholte. Theatralisch zog er sein schwarzes Notizbuch hervor und setzte an. «Barnabas, griechisches Ehepaar, zog in den 70er Jahren in die Schweiz und machte im Rohstoffgeschäft Millionen. Später handelten sie mit Immobilien. In den 90er Jahren gehörten sie zur Society. Ihre Partys waren legendär und sie gaben sich als grosse Wohltäter aus.»
Behringer verzog keine Miene.
«Lesen Sie keine Zeitungen?», fragte Jaki.
«Nicht solche», sagte Behringer.
Leicht gekränkt fuhr Jaki fort, «doch dann ging es mit den Barnabas bergab. Sie hatten sich verspekuliert. Das Konstrukt, mit dem sie den Fiskus umgehen wollten, wurde aufgedeckt. Der Staat verlangte Strafsteuern. Die Banken sperrten die Kredite. Barnabas brauchte Geld und so war Schluss mit der Wohltätigkeit. Das Ehepaar forderte von der Kirche ein grosses Grundstück zurück, dass es ihr überlassen hatte. Der Fall machte über Wochen Schlagzeilen.»
«Gibt es Angehörige?»
«Nur einen Neffen, der im Ausland lebt», sagte Jaki und blätterte im Notizbuch. «Den Namen habe ich mir irgendwo notiert.»
«Wir sind soweit fertig!»
Jaki und Behringer blickten auf. Vor ihnen stand ein junger Mann, den Behringer noch nie gesehen hatte. Der musste neu sein in der Truppe. In den letzten Jahren tauchten mehr und mehr jüngere Gesichter auf, die Behringer daran erinnerten, dass die Pension unerbittlich näher rückte. Das verunsicherte ihn.
«Das war’s», setzte der Beamte der Spurensicherung an.
«Und?»
«Eben nichts! Keine Spuren eines Einbruchs, nichts wurde durchwühlt, nichts gestohlen und es gibt keine Hinweise auf Mord. Aber das wird ja die Gerichtsmedizin klären.»
Mit einem kurzen Nicken verabschiedete sich der Beamte. Behringer wollte ihm folgen, als Jaki ihn zurückhielt.
«Es gibt da noch einen Hausangestellten. Er behauptet, nichts gesehen und gehört zu haben. Wollen Sie mit ihm reden?»
Eigentlich wollte Behringer gehen. Er glaubte nicht, dass der Zeuge mehr wusste. Was soll’s, dachte er sich, man sollte ihm später nicht vorwerfen, er habe bei der Untersuchung geschlampt.

Kurz darauf stand Behringer in der riesigen Küche, in der man für eine ganze Kompanie hätte kochen können, vor ihm ein Südländer. Der Mann mit schütterem Haar war Anfang sechzig, untersetzt, reichte Behringer bis zur Schulter. Vermutlich Portugiese. Als er gestern Abend gegangen sei, sei ihm nichts aufgefallen, versicherte er. Es sei nichts geschehen. Alles war ruhig. Seit dem Skandal hätten sich die Barnabas zurückgezogen und das Anwesen kaum mehr verlassen. Höchstens noch für den Besuch beim Arzt. Sie hätten keiner Menschenseele mehr getraut, auch ihm nicht. Dabei habe er ihnen dreissig Jahre lang treu gedient.

Behringer und der Portugiese schauten sich an. «Isso é mau», fügte dieser hinzu und rang die Hände. Dann nochmals «isso é mau».
Behringer verstand auch ohne Portugiesisch-Kenntnisse, was der Mann meinte. Er konnte im Gesicht des Sechzigjährigen lesen, dass er sich fragte, wie es mit ihm weitergehen werde. Behringer hatte diesen fragenden, verzweifelten Ausdruck schon oft gesehen, bei vielen Angehörigen. Anfänglich hatte ihn dies noch tagelang beschäftigt. Doch inzwischen wusste er: Der Behringer kümmert sich um die Toten und ihre Mörder, nicht um die Überlebenden.

Fünf Tage später sass er in seinem Büro, als ihn der Gerichtsmediziner anrief. Selbstmord, ja, das Ehepaar habe Gift genommen.
«Und die Plastiktüten über dem Kopf?»
«Damit wollten die beiden sicherstellen, dass sie sterben, falls das Gift versagt», sagte die Stimme im Hörer. Dann süffisant: «So reich und doch so unglücklich.»
«Danke», beendete Behringer das Gespräch und hängte auf. Er wollte das nicht kommentieren, denn er wusste, Unglück war nicht das Privileg der Reichen.

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Tilmann Zuber
ist Journalist und Autor

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