Friedensappelle und dröhnendes Schweigen
In Europa wächst die Sorge vor einem großen Krieg zwischen Russland und der Ukraine. In den Konfliktgebieten in der Ostukraine nehmen die Kampfhandlungen zwischen den prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee bedrohlich zu, internationale Beobachter sprechen von massiven Verletzungen des 2014/15 in Minsk vereinbarten Waffenstillstandsabkommens. Seitdem haben die Waffen zwar keinen einzigen Tag geschwiegen, doch hat der Konflikt in den letzten Monaten durch die Verlegung von weit über 100‘000 russischen Soldaten an die ukrainische Grenze eine gänzlich neue Dimension gewonnen. Das Aussendepartement EDA ruft mittlerweile Schweizer Bürgerinnen und Bürger zum Verlassen der Regionen Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine auf; andere europäische Staaten forderten ihre Staatsangehörigen gleich ganz zum Verlassen des Landes auf.
Kirchliche Friedensappelle aus der Ukraine
Angesichts dieser bedrohlichen Gesamtlage hat der «Allukrainische Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften» den ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelenskyj und den russischen Präsidenten Vladimir Putin dazu aufgerufen, «alle möglichen diplomatischen Bemühungen zu unternehmen, um ein schreckliches Blutvergiessen in unserem Land zu verhindern». Konkret forderte der Rat eine Wiederaufnahme der Verhandlungen im so genannten Normandie-Format, in dem sich Deutschland, Frankreich, die Ukraine und Russland um eine Friedenslösung für die Donbassregion bemühen.
Vertreter aller großen in der Ukraine beheimaten Kirchen und Religionsgemeinschaften trafen sich auch zu einem gemeinsamen Friedensgebet in der Kiewer Sophienkathedrale. Kritisiert wurde jedoch, dass die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK), die zum Moskauer Patriarchat gehört, nicht wie die anderen Kirchen durch ihr Oberhaupt vertreten war. Die UOK verwies darauf, dass sie einen Bischof zum Friedensgebet entsandt habe und täglich für den Frieden und die Einheit aller Ukrainer bete. Da sie dem Moskauer Patriarchat untersteht, ist die UOK immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, eine «Handlangerin Moskaus» zu sein. Dies wird jedoch der komplexen inneren Situation dieser Kirche nicht gerecht: Zwar gibt es prorussische Gläubige und Geistliche in der UOK, aber auch einen proukrainischen Flügel, der der aggressiven Politik Putins ablehnend gegenübersteht. Die innere Zerrissenheit der UOK trägt dazu bei, dass sie sich kaum mehr zu gesellschaftspolitischen Fragen äußert.
Sehr viel deutlicher proukrainisch hat sich dagegen die andere große orthodoxe Kirche im Land, die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) geäußert, die 2018 entstanden ist. Gleiches gilt für die mit Rom in Gemeinschaft stehende Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche (UGKK), die sich wie die OKU mit Appellen an die internationale Gemeinschaft wendet und für die ukrainische Armee betet. In einer gemeinsamen Erklärung mit den katholischen Bischöfen in Polen warnte die UGKK vor der «Gefahr kriegerischer Handlungen» und forderte die internationale Staatengemeinschaft auf, sich mit der Ukraine solidarisch zu zeigen und «mit allen möglichen Mitteln eine bedrohte Gesellschaft aktiv zu unterstützen». So versucht die UGKK vor allem auf den Vatikan und die katholische Welt einzuwirken.
Dröhnendes Schweigen des Moskauer Patriarchats
Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) hält sich dagegen auffällig mit öffentlichen Erklärungen zur Gefahr eines Krieges zwischen Russland und der Ukraine zurück. Während sich die Kirchenführung ausführlich zu zahlreichen anderen globalen Themen äußert, etwa zur schwierigen Lage von Christen im Nahen Osten, erklärte Metropolit Ilarion, der Leiter des Aussenamts des Moskauer Patriarchats, mit Blick auf den Ukraine-Konflikt lediglich, dass alles Mögliche unternommen werden sollte, um einen Krieg zu verhindern. Konkrete Kritik am aggressiven außenpolitischen Kurs des Kremls war von ihm nicht zu hören. Die Kirchenleitung teilt zudem die Darstellung der politischen Führung von Russland als dem sich verteidigenden Land. Das dröhnende Schweigen der Kirchenleitung der ROK ist einem Balanceakt geschuldet: Auf der einen Seite kann sie Putin wegen seines außenpolitischen Kurses nicht offen kritisieren, da sich die ROK in den letzten Jahren in eine zunehmende Abhängigkeit vom Staat begeben hat und bei offener Kritik Gefahr liefe, dessen Unterstützung zu verlieren. Auf der anderen Seite gehören dem Moskauer Patriarchat über die UOK auch zahlreiche orthodoxe Gläubige in der Ukraine an, die man nicht vor den Kopf stossen möchte. Das Resultat ist ein Schlingerkurs, der an der Glaubwürdigkeit der Kirche zehrt.
Dies kritisiert auch eine Gruppe russischer Christen aus verschiedenen Konfessionen. Die Gruppe «Christliche Aktion» erklärte, die Schuld an einem Krieg liege jeweils beim Aggressor, und sie wolle Russland nicht in dieser Rolle sehen. Daher fordert sie, dass alle russischen Truppen, die nicht normalerweise dort stationiert sind, von der ukrainischen Grenze weg verlegt werden. Dieser Vorschlag wäre ein erster Schritt Richtung Deeskalation und Frieden.
Stefan Kube, kirchenbote-online; Stefan Kube ist Chefredaktor der Zeitschrift «Religion & Gesellschaft in Ost und West»
Friedensappelle und dröhnendes Schweigen