Adrian Bolzern: Wie geht Singen in Gebärdensprache?
Seit anderthalb Jahren bin ich Gehörlosenseelsorger der Nordwestschweiz. Ich leite Gehörlosengottesdienste, organisiere einen monatlichen Mittagstisch in Muttenz und führe Bibelkurse durch. Alles, was eine normale Pfarrei auch macht – nur viel stiller.
Wenn wir im Gottesdienst singen, dann wird der Text dazu an die Wand projiziert und die Leute drücken ihn in Gebärdensprache aus. Musik ist für Gehörlose etwas, was sie vielmehr spüren als hören, sowohl emotional als auch körperlich. Wenn ich ihnen zum Orgelmusik zeigen will, gehen wir hoch auf die Empore, wo es richtig donnert und vibriert.
Ich selbst kann hören, aber leider beherrsche ich die Gebärdensprache noch nicht gut. Die ist nämlich komplizierter, als man meint. Nebst den Handbewegungen gehören auch Gesichtsausdrücke dazu. Und die Satzstellungen sind ganz anders als in der gesprochenen Sprache, die Verben kommen erst am Schluss. Im Gottesdienst habe ich deshalb immer einen Dolmetscher dabei und projiziere, was ich sage, zusätzlich an die Wand. Das ist wichtig, denn die Gebärdensprache war früher streng verboten, und viele ältere Gehörlose haben sie nie gelernt.
Weil die Gehörlosengemeinde so klein ist, feiern wir oft nicht in der Kirche selbst, sondern im Kirchgemeindehaus. Manchmal wollen die Kirchgemeinden Geld für die Benutzung verlangen, als wären wir irgendein Club, der nichts mit der Kirche zu tun hat. Dabei zahlen Gehörlose Kirchensteuer. Ja, die Gehörlosengemeinde ist klein, aber würde meine Stelle gestrichen, würde die Kirche ihr Herz verlieren. Unser Auftrag ist es, mit den Menschen den Glauben und das Leben zu teilen. Nicht, die Kirchensteuer zu zählen.
Gehörlose brauchen einen Raum, in dem sie sich begegnen können. Nach dem Gottesdienst gibt es darum immer Kaffee und Kuchen. Mir ist es wichtig, ihnen meine Anerkennung zu schenken: Auch ihr seid wichtig.
Adrian Bolzern: Wie geht Singen in Gebärdensprache?