«Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe»
«Liebe? Ein abgegriffener Begriff», meint Benjamin Doberstein, Leiter der Schweizerischen Bibelgesellschaft, und ergänzt: «Es gibt wohl kaum ein Wort, das schwieriger zu beschreiben ist.» Und trotzdem: «Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe», lautet die Jahreslosung 2024.
Bereits drei Jahre im Voraus wurden diese Worte von Paulus als Jahreslosung 2024 festgelegt. Der Auswahl durch die Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB) ging ein aufwendiger eineinhalbjähriger Prozess voraus.
Andreas Losch, Verantwortlicher Theologie bei der Schweizerischen Bibelgesellschaft, hat diesem Prozess selber beigewohnt: «Die Mitglieder der ÖAB reichen zunächst je zwei Vorschläge zur Prüfung ein. Theologen und Theologinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz diskutieren dann mit externen Beratern und Jugendvertretern die Textvorschläge eingehend. Erst dann erfolgt – im Plenum – die Wahl der Jahreslosung.» Die Jahreslosungen werden seit 1934 veröffentlicht – damals als Widerstand gegen nationalsozialistische Parolen. Die Schweizerische Bibelgesellschaft ist als einzige Vertreterin der Schweiz massgeblich an der Auswahl beteiligt. Spielt bei der Wahl der Jahreslosung die göttliche Inspiration mit? Für Benjamin Doberstein, Leiter der Bibelgesellschaft, ist das eine Frage des Glaubens. «Gottes Geist weht, wo er will. Er wirkt nicht unbedingt dann, wenn man zusammensitzt und sagt: ‹Jetzt lassen wir ihn mal wirken.› Sondern, wenn man sich bewusst für ihn öffnet.» Doberstein glaubt aber, dass der Heilige Geist dort wirkt, wo Menschen gemeinsam das Wort Gottes lesen und diskutieren.
«Wenn Liebe nicht gleich in Hass umschlägt»
Die Aufforderungen der Bibel seien manchmal herausfordernd, meint Doberstein. Deshalb brauche die Jahreslosung «Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe» eine Auslegung: «Gerade weil wir unvollkommen sind, können wir nicht immer aus Liebe handeln. Das soll uns aber nicht davon abhalten, etwas von dem umzusetzen, was uns wichtig geworden ist.» Aus Liebe zu handeln, sei öfter möglich, als man denke: «Zum Beispiel dann, wenn wir jemandem auf der Strasse zunicken.»
«Die Jahreslosung ist mehr als eine Tradition», ist Doberstein überzeugt. «Sie bietet Gelegenheit, das Weltgeschehen und die eigene Innenwelt anhand eines Gedankens der Bibel zu spiegeln. So lassen sich Menschen von der Jahreslosung durch das Jahr begleiten und sehen die Dinge im neuen Licht.» Reaktionen gab es auf die Jahreslosungen wenig, räumt Doberstein ein.
Tageslosungen der Herrnhuter
Für den Leiter der Schweizerischen Bibelgesellschaft sind auch die Tageslosungen der Herrnhuter ein inspirierender Begleiter im Alltag. Sie bestehen aus Bibelversen des Alten und des Neuen Testaments, die für jeden Tag eines Jahres ausgelost werden. «Menschen, die sie lesen, erleben immer wieder Stärkung und Unterstützung für ihr Leben.» Die Losungen sind heimliche Bestseller: Allein die deutschsprachige Ausgabe erreicht Jahr für Jahr eine verkaufte Auflage von mehr als einer Million Exemplaren. Sie könnten auch Anreiz sein, sich mit dem Gesamttext der Bibel auseinanderzusetzen, so Doberstein.
Sind die Verse der Losungen noch zeitgemäss? «Die Erfahrung zeigt, ja», sagt Doberstein. «In unserer Kultur und Wahrnehmung wird die Bibel manchmal als wenig zeitgemäss wahrgenommen. Vielleicht, weil unser hoher Lebensstandard unsere Sicht einschränkt. Weltweit gesehen ist das anders. Die Nachfrage nach Bibeln und deren Übersetzungen ist nach wie vor sehr gross, und sie wird viel gelesen.»
«Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe»