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«Als Christen müssen wir die Welt nicht retten, aber sie gerechter gestalten»

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30.07.2020
Daniel Reuter, Vizepräsident der Evangelischen Kirche Schweiz, über die Konzernverantwortungsinitiative und das prophetische Vorangehen des Hilfswerks «Brot für alle», Initiativfahnen an Pfarrhäusern und die Politik, die manchmal nicht erkennt, was die Volksseele bewegt.

Daniel Reuter, die EKS unterstützt die Konzernverantwortungsinitiative. Warum?
Der Rat der EKS hat sich den Entscheid nicht leicht gemacht. Wir gingen bewusst nicht ins Initiativkomitee. Später haben wir uns für einen griffigen Gegenvorschlag eingesetzt. Leider konnte sich das Parlament nicht dazu durchringen, die Anliegen der Initianten aufzunehmen. Also entschieden wir uns, die Konzernverantwortungsinitiative zu unterstützen.

Das klingt jetzt, als ob den Rat der Entscheid Überwindung gekostet hätte. Ist die Konzernverantwortungsinitiative eine gute Initiative?
Sie geht sicher in die richtige Richtung. Ich sehe durchaus die Gefahr, dass die Initiative alle global operierenden Schweizer Unternehmen unter Generalverdacht stellt. Aber sie benennt brennende Probleme, was die Produktion von Konsumgütern und den Abbau von Rohstoffen im globalen Süden betrifft. Im Herbst wird der Rat detaillierter zur Initiative Stellung nehmen und seine Unterstützung begründen.

Aber eigentlich hofften Sie auf einen Gegenvorschlag?
Das Parlament gewichtet Fragen manchmal anders als das Volk. Deshalb ist es gut, dass es in der direkten Demokratie ein Korrektiv gibt. Auch die Masseneinwanderungsinitiative der SVP hat das Parlament damals unterschätzt. Ich glaube, jetzt sieht die Politik zu wenig, wie sehr durch die Wirtschaft verursachte Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden die Volksseele bewegt.

Die Christenseele besonders?
Nein. Ich kenne viele Agnostiker und Atheisten, Juden und Muslime, die sich genauso für Gerechtigkeit einsetzen.

Das kirchliche Hilfswerk «Brot für alle» hat forscher politisiert als die EKS und gehört zum engen Kreis der Initianten. Ist das legitim?
Dagegen ist nichts einzuwenden. «Brot für alle» ist sozusagen prophetisch vorangegangen. Das ist mit dem Stiftungszweck absolut vereinbar. Auch als Mitglied des Stiftungsrates trage ich dieses Vorgehen mit.

Aber wer einem Hilfswerk spendet, möchte vielleicht keine politischen Kampagnen finanzieren.
«
Brot für alle» setzt keine Spenden für Hilfsprojekte für die Kampagne ein. Da wird sauber gewirtschaftet und nur Geld verwendet, das explizit für die Kampagne zur Verfügung gestellt wurde.

Und wenn «Brot für alle» den Kirchgemeinden einen Leitfaden zur Verfügung stellt, wie sie die Initiative thematisieren können?
Auch das halte ich für legitim. Ich habe auch kein Problem damit, wenn sich Pfarrerinnen und Pfarrer für die Initiative aussprechen. Sie sind von ihren Gemeinden gewählt und riskieren etwas, wenn sie sich exponieren. Ich bin gegen Maulkörbe. Hingegen ist es die Aufgabe der Landeskirchen und der Kirchgemeinden, Regeln zu formulieren, unter welchen Rahmenbedingungen politische Initiativen diskutiert werden sollen.

Wo liegen die Grenzen?
Der Zürcher Kirchenrat, dem ich ja auch angehöre, wird seine Richtlinien in der Sommerpause aktualisieren. Ich bin ein Verfechter davon, die politischen Ebenen zu respektieren. Wenn also die EKS Stellung bezieht, muss nicht auch noch jede Landeskirche und jede Kirchenpflege eine eigene Stellungnahme formulieren. Aber selbstkritisch muss ich sagen: Nicht immer war der Rat der EKS schnell genug mit seinen Positionsbezügen.

Er müsste sich also klarer positionieren?
Ich spreche lieber von Hilfestellungen zur Entscheidungsfindung. Im Gespräch mit Politikerinnen und Politikern höre ich oft, dass sie es schätzen, wenn die Kirche nicht einfach Abstimmungsparolen publiziert, sondern die Argumente abwägt. Die Kirche kann auch einmal ein Dilemma aufzeigen. Parteien hingegen müssen die nächsten Wahlen gewinnen.

Und die Kirche riskiert Austritte.
Ich glaube nicht, dass Mitglieder austreten, nur weil die Kirche sich für die Konzernverantwortungsinitiative ausspricht. Die steigende Zahl von Austritten hat soziodemographische Ursachen. Den Trend kann die Kirche nicht brechen, indem sie sich nicht mehr zu Wort meldet. Man würde es von mir vielleicht nicht erwarten, aber ich bin durchaus geprägt von der Haltung des religiös-sozialen Theologen Leonhard Ragaz. Als Christen können wir zwar nicht die Welt retten, aber wir dürfen die Menschen auch nicht einfach aufs Jenseits vertrösten. Wir müssen schon versuchen, die Welt ein bisschen gerechter zu gestalten.

Der Abstimmungskampf wird im Herbst emotional geführt. Viele Pfarrerinnen und Pfarrer engagieren sich. Steht die Kirche vor einer Zerreisprobe?
Ganz entscheidend ist, dass Pfarrerinnen und Pfarrer, die sich positionieren, die gesamte Gemeinde im Blick behalten. Ich respektiere, wenn sich Mitglieder der reformierten Kirche gegen die Initiative aussprechen. Ein prominentes Beispiel ist der Ethiker und Theologe Markus Huppenbauer. Er hat gute Argumente. Wir müssen die Diskussion mit Respekt und Achtung führen.

Ist es in Ordnung, wenn eine Pfarrerin die orange Fahne der Initiative ans Pfarrhaus hängt?
Das muss sie sich genau überlegen. Theoretisch kann das die Kirche als Vermieterin verbieten. Aber soll sie strenger sein als andere Vermieter? Die Fahnen sieht man ja überall.

Und wenn die Fahne am Kirchturm weht?
Dann würde eine Grenze überschritten. Der Kirchturm hat eine hohe Symbolkraft. Auch am Kirchgemeindehaus sollten keine Fahnen aufgehängt werden. Es braucht neutrales Terrain, damit eine kontroverse Diskussion möglich ist und sich niemand ausgeschlossen fühlt.

Interview: Felix Reich, reformiert.info

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