Als Luther sich mit dem Kapital einliess
Die Theaterleute kommen mit einer Mappe und einer Kiste. Dazu brauchen sie zwei Tische, vier Stühle, eine Flipchart und zwei Leselampen – fertig ist die Bühne. «'Lektion Luther' eignet sich prima als kleines Komplementärprogramm zur grossen Luther-Agenda», sagt Niggi Ullrich, der das Stück produziert und Regie führt.
Was so bescheiden und kompakt daherkommt, basiert auf einem Stück weltberühmter Schweizer Theatergeschichte. 1970 inszenierte das Theater Basel «Martin Luther und Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltung» von Dieter Forte. Die Uraufführung dauerte vier Stunden und zeigte damit nur einen Teil des über neunstündigen Historiendramas. In über 70 Szenen traten 124 Figuren auf. Das Schauspiel wurde weltweit ein Erfolg.
«Eine solche Aufführung kann sich heute kein Theater mehr leisten», sagt Niggi Ullrich. Der reformierte Baselbieter Kirchenrat und ehemalige Kulturbeauftragte des Kantons hat Fortes Drama schon immer bearbeiten wollen und legt jetzt mit «Lektion Luther» eine aus heutiger Sicht aufgearbeitete Form der Vermittlung vor. Die 70-minütige Collage präsentiert in 22 Szenen für zwei Schauspieler und eine Moderatorin die Essenz von Fortes Stück und funktioniert nach dem Prinzip «on demand». Wer will, kann «Lektion Luther» als Gastspiel mit anschliessender Diskussionbuchen: Kirchgemeinden, Schulen, Vereine, Theater.
Spielball der Mächtigen
Auch inhaltlich sorgte Dieter Fortes Werk für Furore. «Luther wollte die Kirche reformieren, aber nicht spalten», sagt Niggi Ullrich. Dieter Forte habe zeigen wollen, wie Luther die Kontrolle über seine Lehre und sein Wirken verlor, als er sich mit den Mächtigen aus Kirche, Politik und Wirtschaft einliess und sich in ihren Dienst stellte, und wie der Reformator dadurch halb freiwillig, halb unwillig von einer theologischen zu einer politischen Figur wurde. Luther gerät zum Spielball der verschiedenen Machtinteressen, vor allem des Bankiers Jakob Fugger, des «ersten neuzeitlichen Monokapitalisten, den nur Aktiva und Passiva seines Hauptbuches interessierten», wie das Magazin «Der Spiegel» nach der Uraufführung in Basel schrieb, und in dessen Geldgeschäfte alle Akteure des frühen 16. Jahrhunderts verstrickt waren, vom Papst über den Kaiser bis zu den Kurfürsten.
Martin Luther und die Ökonomie – damit setzt sich auch «Lektion Luther» auseinander. «Das Stück zeigt zudem, wie schnell Kirche als Institution ihre Bedeutung verliert, wenn sie sich nicht als Teil der Gesellschaft sieht», so Ullrich. «'Lektion Luther' wertet nicht», betont der Regisseur, «es eröffnet einen anderen, manchmal auch augenzwinkernd-ironischenZugang auf Luther und die Reformation.»
Karin Müller, 30. Oktober 2017
Als Luther sich mit dem Kapital einliess