Auch die Kirche soll nach dem Klima-Urteil handeln
Das Medienecho auf dieses Urteil war gewaltig: Am 9. April gab der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg dem Verein Klimaseniorinnen Schweiz recht. Dessen Mitglieder hatten die Schweiz verklagt, weil sie nicht genug tue, um ältere Frauen vor Hitzewellen zu schützen. Letztere würden durch den Klimawandel immer häufiger und intensiver auftreten.
Der Gerichtshof gab der Klage Recht: Die Schweizer Klimaziele seien ungenügend, damit würden die Menschenrechte der Seniorinnen verletzt. Konkret sieht der EGMR eine Missachtung des Rechtes auf Privat- und Familienleben, Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Und auch des Rechtes auf Zugang zu einem Gericht: Von den Schweizer Gerichten waren die Klimaseniorinnen nicht angehört worden.
Gemeinsame Mission von Klimaseniorinnen und Klimaallianz
Der Verein «Oeku Kirchen für die Umwelt» habe die Klage die ganze Zeit verfolgt, sagt Kurt Zaugg-Ott, Co-Leiter der Fachstelle des Vereins. Er habe selber dabei geholfen, Unterstützerinnen für die Klage zu finden. Oeku setzt sich für Nachhaltigkeit und umweltbewusstes Handeln in Kirchgemeinden, Pfarreien und kirchlichen Institutionen in der Schweiz ein und ist wie die Klimaseniorinnen Mitglied bei der Klimaallianz.
Gemeinsam seien die beiden Organisationen für das Klimaschutzgesetz auf die Strasse gegangen. Unter den Klimaseniorinnen seien auch einige kirchlich engagierte Frauen.
«Ich freue mich riesig», sagt Zaugg zum Urteil. Damit sei ein zusätzliches, juristisches Instrument vorhanden, mit dem Klimagerechtigkeit eingefordert werden könne. «Das Gericht nimmt die wissenschaftlichen Grundlagen ernster, als das in der Politik teilweise der Fall ist», sagt er.
Er hoffe, dass das Parlament seinen Verpflichtungen, konkret dem Klimaschutzgesetz, nun genauer nachkommen müsse. «Die Schweiz hat internationale Ziele unterschrieben. Es kann nicht sein, dass das Parlament Gesetze verabschiedet, die diese Ziele einfach nicht einhalten.»
Doch er sieht auch die Kirchen in der Pflicht, die geltenden gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Als eine der grössten Immobilienbesitzerinnen solle auch die Kirche genauso vorbildlich handeln, wie es für den Bund und die Kantone gemäss Klimagesetz gelte: nämlich bis spätestens 2040 treibhausgasneutral zu werden.
Weltweite Bedeutung des Klima-Urteils
Die Klimaseniorinnen und Greenpeace, welche den Verein in der Klage unterstützt hatte, nannten das Urteil in einer gemeinsamen Medienmitteilung einen «historischen Sieg». Erstmals habe ein länderübergreifendes und auf Menschenrechte spezialisiertes Gericht direkt einen menschenrechtlich begründeten Anspruch auf Klimaschutz gutheissen.
Das Urteil sei ein Präzedenzfall für alle 46 Staaten des Europarates. Für Cordelia Bähr, leitende Rechtsanwältin der Klimaseniorinnen, kann der Entscheid gar nicht überschätzt werden: «Er wird weltweit für weitere Klimaklagen gegen Staaten wie auch gegen Unternehmen von grosser Bedeutung sein und deren Erfolgsaussichten erhöhen.»
Georg Klingler von Greenpeace Schweiz spricht von einem Weckruf für Bundesrat und Parlament. «Der Entscheid des Gerichtshofs ist für sie verbindlich. Menschenrechte sind die Basis jeder Demokratie – wir erwarten, dass sich Politiker und Politikerinnen aller Couleur an das Urteil halten», sagt er.
Greenpeace teilt zudem mit, dass der Kampf um Klimagerechtigkeit mit den Klimaseniorinnen am Internationalen Gerichtshof weitergeführt werden soll. Dort finden Anfang nächstes Jahr Anhörungen zu den Klimagerechtigkeitsverpflichtungen aller Regierungen – auch der Schweiz – statt.
Breiter Zuspruch
Auch andere Organisationen, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen streichen die Bedeutung des Urteils heraus. «Was für ein wichtiger Entscheid und Tag für die Klimagerechtigkeit!», schreibt etwa das Hilfswerk der evangelischen Kirchen Schweiz (Heks) auf Social Media.
Gegenüber dem Nachrichtenportal ref.ch sagte Heks-Sprecher Lorenz Kummer noch vor dem Entscheid, dass das Heks mit dem Urteil einen grundsätzlichen Einfluss auf die europäische Rechtsprechung in Klimabelangen erwarte. Die Zahl der Klimaverfahren werde weltweit zunehmen, denn das tue auch die Klima-Ungerechtigkeit mit der voranschreitenden globalen Erwärmung.
Und auch die Organisation Klimastreik spricht von einem historischen Entscheid und fordert von Bundesrat und Parlament umgehendes Handeln. «Wir können es uns nicht leisten, noch einmal zehn Jahre vor Gericht zu kämpfen», heisst es in einer Mitteilung.
Auch die Kirche soll nach dem Klima-Urteil handeln