Auf der Suche nach dem Glauben
Michelle de Oliveira hatte in ihrer Jugend kaum etwas mit Religion zu tun. Das änderte sich, als ihre beiden Kinder auf die Welt kamen. Von ihnen kamen plötzlich Fragen wie: Wer hat diese Welt gemacht? Woher kommen wir? Oder: Wer ist Gott? «Durch sie bin ich wieder mehr mit solchen grundlegenden Fragen in Berührung gekommen», sagt Michelle de Oliveira. Viele Fragen hätten schon lange in ihr gegärt, und dieser Suche wollte sie journalistisch nachgehen. Sie habe angefangen, sich selbst zu fragen: «Glaube ich überhaupt? Und wenn ja, woran? Oder fehlt mir der Glaube?» Sie sei zu dem Schluss gekommen: «Ich glaube, mir fehlt der Glaube.» Bald sei bei ihr der Wunsch entstanden, ein Buch über diesen Themenkomplex zu schreiben. Michelle de Oliveira stellte fest, dass sie mit diesen Fragen nicht allein war.
Tabuzone Glaube
Michelle de Oliveira ist freie Journalistin, Mutter von zwei Kindern und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Seit sie mit ihrer Familie an der Atlantikküste Portugals wohnt, ist der Blick aufs Meer ihre liebste Meditation. Für sie sei von Anfang an klar gewesen, dass sie das Thema nicht theoretisch behandeln könne, sondern mit vielen verschiedenen Menschen sprechen wolle. Die Umsetzung sei gar nicht so einfach gewesen. In diesem Land spreche man nicht gerne über den Glauben. Er werde als Privatsache behandelt, sagt sie. Einen Grund dafür sieht sie darin, dass Religion oft in politische Konflikte hineingezogen wird und deshalb negativ besetzt ist.
Astrologin und Nonne
Michelle de Oliveira konnte schliesslich 14 Gesprächspartner zu ihrem Glauben, ihren Zweifeln, ihrer Spiritualität befragen. Darunter waren spannende Menschen wie eine queere Pfarrerin, eine Astrologin, eine buddhistische Nonne oder eine Astrophysikerin.
Die Recherchen für das Buch haben zu vielen wichtigen Erkenntnissen geführt. Eine der wichtigsten für Michelle de Oliveira: «Durch all diese Gespräche ist mir bewusst geworden, wie breit und vielschichtig der Glaube sein kann.» In ihren Interviews lernte sie Menschen kennen, die immer wieder mit ihrem Glauben gerungen haben.Bei Mirjam Haymann, Jüdin und Yogalehrerin, war de Oliveira beeindruckt von den Zweifeln, die im jüdischen Glauben viel Platz haben. «Hier kann man als gläubige Jüdin zu einem Rabbiner sagen: ‹Ich glaube nicht an Gott.› Anja Niederhauser, reformierte Pfarrerin und Sterbebegleiterin, ringt mit dem Glauben. Wie sie dann doch zum Glauben zurückfindet, das hat mich sehr berührt», so de Oliveira.
«Ich will an etwas glauben, auch wenn ich es nicht beweisen kann.»
Vor einigen Jahren ist die 39-Jährige aus der katholischen Kirche ausgetreten. «Ich will nicht mehr zurück. Es gibt immer noch Dinge, die mich stören.» Wie sieht ihr persönlicher Glaube nach diesem Buch aus? Michelle de Oliveira hat keine Lust auf ein religiöses Sammelsurium, einen Trend, bei dem sich jeder aus einer Religion das herauspickt, was ihm gefällt. Aber für sie ist klar: «Ich will an etwas glauben, auch wenn ich es nicht beweisen oder genau definieren kann.»
Nach dem Schreiben des Buches habe sie das Gefühl gehabt, «am Anfang einer Reise» zu stehen. Ähnlich geht es wohl dem australischen Musiker Nick Cave, dessen Konzert sie kürzlich besucht hat. Sein Satz: «Ich glaube an Gott, nicht wegen der Religion, sondern trotz der Religion» habe in ihr viel ausgelöst.
Michelle de Oliveira hofft, dass auch ihr Buch «Ich glaube, mir fehlt der Glaube» dazu anregt, tiefer über den eigenen Glauben nachzudenken.
«Ich glaube, mir fehlt der Glaube», Michelle de Oliveira, Pano Verlag
Auf der Suche nach dem Glauben