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Auge in Auge mit Franziskus

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20.06.2018
Am Donnerstag ist der Papst zu Gast beim Weltkirchenrat in Genf. Passend zum Besuch des Pontifex läuft derzeit im Kino Wim Wenders’ Film «Papst Franziskus – ein Mann seines Wortes». Eine Filmkritik aus der Sicht einer ehemaligen Ministrantin.

Fünf Jahre lang tat ich als Ministrantin meinen Dienst. Der Papst sass in Rom und ich in der katholischen Kirche in Muttenz. Ratzinger und Co. blieben für mich physisch und geistig ferne Wesen aus einem dogmatischen Universum. Der Papst war für mich der strenge Hirte, der versucht, Christus würdig auf Erden zu vertreten, dabei mit ein paar konservativen Floskeln herumwirft und weltfremd über die Frage der Gleichberechtigung und der Sexualmoral stolpert. Mit Verlaub, liebe Glaubensgenossinnen, warum erwartet ihr von einem Betagten, der nie die Glückseligkeit der körperlichen Liebe genoss, die Probleme Normalsterblicher zu verstehen?

Das hat sich geändert, plötzlich kommt mir der Vatikan als Papst Franziskus nahe. Er blickt mich eindringlich an und spricht zu mir innig, hypnotisch, nicht wie ein TV-Wahrsager, sondern wie ein wahrer Vertreter Christi. So geschehen in Wim Wenders neuestem Filmprojekt «Papst Franziskus – ein Mann seines Wortes». Im Zentrum stehen die Interviews, die Wenders in vier Privataudienzen mit dem Vertreter Christi aufnahm. Die Gespräche wurden so konzipiert, dass der Papst nicht zum Regisseur spricht, sondern direkt in die Kamera und zum Publikum. Ein filmischer Kniff – Franziskus wirkt nah, greifbar.

Durch eine Szene fühle ich mich in meine Zeit als Ministrantin zurückversetzt: Der Papst fährt im Papamobil durch eine Strasse, die sich zwischen jubelnden Menschenmassen auftut, wie vor Moses das Rote Meer. Die Kamera surrt hinter dem Papst, man blickt ihm regelrecht über die Schulter, ist live dabei.

Ich kenne diesen Blickwinkel: Als ich bei der Wandlung als Ministrantin hinter dem Priester stand, in mein weisses Gewand gehüllt und über die Schultern des Priesters in den weiten Kirchenraum sah. Während der Priester die Einsetzungsworte wie Zauberformeln vor sich hinmurmelte, wanderten meine Augen über die Bänke und Gesichter der Gläubigen. Solche Momente empfand ich als aufregend, wenn mir nicht gerade schlecht war vom langen Stehen.

«Der franziskanische Wind»
Wenders’ Film, den der Vatikan beim deutschen Regisseur in Auftrag gab, feiert weitere erhabene Momente. Etwa beim Auftakt: Die Verkündigung des Habemus Papam 2013 von der Benediktionsloggia auf den menschenüberströmten Petersplatz hinunter, als der neue Papst Franziskus die Menge mit einem einfachen «Buona sera» begrüsst. Obwohl ich keine Katholikin bin, die «Ja und Amen» sagt, hatte ich ein wenig Gänsehaut. Ein Papst, der das Armutsideal nicht nur predigt, sondern danach lebt und auf seine Wohnung im Apostolischen Palast verzichtet. Es sind für mich nicht nur Worte, mit denen er den Geist seines Namensgebers, des Heiligen Franz von Assisi, belebt, sondern vor allem auch Taten. 

Die Ärmste der Armen
Der Einsatz für die Umwelt nimmt einen wichtigen Platz im Dokumentarfilm ein. Und sicherlich in der Agenda von Papst Franziskus: Er bezeichnet die Erde als «Ärmste der Armen» und macht auf ihre Ausbeutung aufmerksam. «Es ist eine Schande für jeden Einzelnen von uns», mahnt der Papst und blickt mich zugleich streng und gütig mit schräg gelegtem Kopf an. Alle Religionen müssten sich dafür einsetzen, dass es der Erde besser gehe. Um zu zeigen, wie ernst es dem 81-Jährigen ist, zeigt Wenders, wie der Vatikan vor der Klimakonferenz in Paris Fotografien zum Klimawandel und humanitären Katastrophen auf die Fassade des Petersdoms projiziert. So aufregend hätte ich mir manche Messe als Ministrantin gewünscht.

«Erneuere mein Haus, es ist zerstört»
Dann wird Franziskus zum Seelenarzt und stellt fest, dass die Kirche von «geistlichem Alzheimer» befallen sei: Nicht nur Laien, auch die Priester, würden ihre wahre Bestimmung, das Zuhören, vergessen und sich vom Reichtum blenden lassen. Darauf zeigt Papst Franziskus mit dem Finger. Eindringlich schaut er uns an, und appelliert: «Wenn wir ärmer werden, werden wir reicher.» Bei diesem Blick muss man ihm glauben.

Auch wenn Wim Wenders von vielen Seiten Vatikan-PR vorgeworfen wird, haben mich sein Film und dieser Papst so erreicht wie noch nie. Zwei Stunden sass ich Auge in Auge mit dem Pontifex. Wenders’ Film wird zum Beichtstuhl, in dem er Probleme anspricht, die mich in meinem Leben beschäftigen. Da ist jemand, der die humanitären und ökologischen Probleme unserer Zeit thematisiert.

Habeo Papam, ich habe einen Papst – jemand, der nicht nur ein Mann des Wortes, sondern mit seinem demütigen Lebensstil und seinem Anprangern der Ungerechtigkeit sicher auch ein Mann der Tat ist. Auf einer weltpolitischen Bühne ist dieser Papst Franziskus ein Hoffnungsträger für die sich säkularisierende Welt.

Alles Happy End? Nein, ich warte trotz allem auf die Filmfortsetzung «Franziskus 2», in welcher der Papst einen progressiven Ansatz zur Stellung der Frau in der Kirche verfolgt …

Noemi Schürmann, kirchenbote-online, 20. Juni 2017

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