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Spitalseelsorge

«Aushalten, dass man die grundsätzliche Situation nicht ändern kann»

von Adriana Di Cesare
min
29.08.2024
Im Kantonsspital Schaffhausen begleiten freiwillige Sitzwachen schwer kranke Menschen am Spitalbett. Einer dieser Freiwilligen ist Ernst Sulzberger aus Merishausen. Ab Herbst 2024 bietet die Spitalseelsorge neue Kurse an, die auf solche Einsätze vorbereiten.

Ernst Sulzberger ist in manchen Nächten im Kantonsspital Schaffhausen anzutreffen. Dann sitzt er am Bett eines Patienten. Manchmal im Gespräch, oft aber still. Der 81-Jährige gehört zur Sitzwache im Spital, einem Freiwilligendienst, der schwer kranke und oft auch sterbende Menschen begleitet.

«Das Wort Sitzwache verwende ich nicht so gerne, es ist mir zu militärisch», sagt er schmunzelnd. «Ich sage lieber, dass ich begleite, im Grunde bin ich einfach für jemanden da.» Was schlicht klingt, beinhaltet vieles. «Ich versuche, die Bedürfnisse der Person im Spitalbett wahrzunehmen und sie darin abzuholen», erklärt Ernst Sulzberger. Das gestaltet sich ganz unterschiedlich. «Es kann sein, das jemand reden möchte, manchen lese ich auch etwas vor.»

Er erzählt lebhaft vom Besuch bei einem Patienten, bei dem sich das Gespräch um «Lumpenliedli» aus der Schulzeit drehte. «Wir haben jedes Lied zusammen gesungen, das uns in den Sinn kam. Am Ende hat der Mann gesagt: ‹Es war schön, dass ich Sie kennenlernen durfte.› So etwas berührt mich immer sehr.»

Wertvolle Stunden der Stille

Doch nicht immer geht es am Krankenbett fröhlich zu und her. «Manchmal ist jemand nicht mehr ansprechbar. Dann gilt es, auf andere Weise da zu sein.» In diesen stillen Stunden denkt Ernst Sulzberger über seine eigene Endlichkeit nach. «Ich nutze die Zeit, um ganz bei mir anzukommen, meine Gedanken fliessen zu lassen, dieser Freiraum ist sehr wertvoll für mich.»

Der Merishauser hat beruflich in vielen Funktionen für die katholische Kirche gearbeitet: als Katechet, als Sozialdiakon, in der Gemeindeleitung und in der Synode. Ursprünglich hatte er Elektromechaniker gelernt und in der Produktion gearbeitet. Schliesslich leitete er Führungen durch den Betrieb: «Bei diesen Rundgängen durch die Fabrik begegneten wir den Frauen an den Fliessbändern, die ihre Kinder abgeben mussten, um arbeiten zu können. Diese Begegnungen öffneten mir die Augen für das Soziale. Das war ungemein wertvoll für meinen späteren Berufsweg in der Kirche.»

Für Ernst Sulzberger steht der Mensch im Zentrum. «Ich möchte etwas zurückschenken, das mir gegeben wurde. Meine Eltern haben mir durch ihre vorbehaltlose Liebe Grundvertrauen ins Leben geschenkt, das mich bis heute trägt. Die christlichen Werte der Nächstenliebe und der Menschenwürde liegen liegen mir ebenfalls am Herzen. Dies alles kann ich in diesem Dienst zum Tragen bringen.»

Manchmal seien die Einsätze herausfordernd. «Wenn ein Patient sehr verwirrt ist, kann es schwierig sein, etwas für ihn zu tun. Ich habe schon erlebt, dass jemand im Delirium aggressiv reagierte.»

Ausbildungskurs Sitzwache

Jede Sitzwache muss eine Ausbildung besucht haben, die aus acht Abenden besteht. «In diesem Kurs geht es um die Begleitung von schwer kranken und manchmal sterbenden Menschen, aber natürlich auch immer um die eigene Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens und um Fragen rund um das Sterben», erläutert der Spitalseelsorger Ingo Bäcker. Die Mitglieder der Spitalseelsorge leiten diese Weiterbildung zusammen mit Pflegefachpersonen.

«Wir haben an den Kursabenden ein Instrumentarium erarbeitet, das mir hilft, mit schwierigen Situationen umzugehen», erzählt Sulzberger. Was muss jemand mitbringen, um diesen Dienst tun zu können? «Man muss aushalten können, dass man die grundsätzliche Situation eines Patienten nicht ändern kann. Aber man kann Zeit schenken und bekommt dabei viel zurück.»

Die Einsätze finden in der Regel nachts statt. «Ich kann als Rentner auch mal an einem Morgen nachschlafen», so der vielfache Grossvater. Angefragt für einen Einsatz wird er von der Pflege oder von der Spitalseelsorge. «Ich kann bei jeder Anfrage entscheiden, ob ich den Einsatz machen möchte oder nicht.» In der Regel vermeidet er es, bei Patienten wiederkehrend zu verweilen. «Ich möchte zum einen nicht, dass ein Abhängigkeitsverhältnis entsteht. Zum anderen gibt es ja viele Patienten, welche die Begleitung durch eine aussenstehende Person benötigen, damit Angehörige einmal ausruhen können.»

Ein wichtiger Punkt sei, sich abgrenzen zu können. «Belastende Situationen bespreche ich im Team oder mit der Spitalseelsorge, das ist jederzeit möglich. Aber manchmal beschäftigt mich eine Begegnung schon auch im Nachhinein.» Das nimmt Ernst Sulzberger aber in Kauf: «Ich habe das Glück, in meinem Alter gesund zu sein und auf ein erfülltes Leben zu blicken. Davon gebe ich gerne etwas zurück.»

 

Informationen zum Kurs: ingo.baecker@spitaeler-sh.ch, 052 634 89 38.

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