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Bedroht der Islam das Abendland?

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18.02.2016
Der Journalist Daniel Gerber berichtet aus dem Nahen Osten. Ein Blick auf die islamische Welt, die von Kriegen erschüttert wird und nach Freiheit sucht.

Nach den Attentaten in Paris fragen sich viele einmal mehr, was ist in der islamischen Welt los?
Daniel Gerber: Die Anschläge waren keine Überraschung. Der IS hat dem Westen seit einiger Zeit mit Terroranschlägen gedroht. Es gab zudem schon zuvor Anschläge, etwa auf die Redaktion von «Charlie Hebdo».

Nach den Anschlägen lautete der Tenor, das habe mit Religion und dem Islam nichts zu tun..
Natürlich hat das Morden mit der Auffassung des Islams, die viele vertreten, wenig zu tun. Doch es ist schwierig, das Vorgehen des IS hundertprozentig mit dem Koran und den Suren zu widerlegen. Leider fehlen da die entsprechenden Erklärungen und Reaktionen aus Saudi-Arabien und den anderen arabischen Ländern. Als die Mohammed-Karikaturen in Dänemark erschienen, protestierten Tausende auf den Strassen gegen diese Verhöhnung. Wie beleidigend muss es für eine Glaubensgemeinschaft sein, wenn im Namen ihrer Religion Menschen ermordet werden?

Hat sich der Islam radikalisiert?
Radikale Strömungen gibt es seit Jahrzehnten, etwa in Saudi-Arabien, dem Iran, Katar und anderen Ländern. Im Iran sind die radikalen Kräfte seit der Revolution an der Macht. Als die Mullahs in der Türkei im Exil lebten und am Strand spazierten, jagten die Türken sie davon. Sie schadeten dem Tourismus. Das hat sich geändert. Heute wird der Islam auch in Ländern wie der Türkei konsequenter gelebt.

Ist die Radikalisierung eine Reaktion auf die westliche Kultur?
Teils. Was der Westen Radikalisierung nennt, bedeutet für die Gläubigen im Nahen Osten und in Afrika ein Leben nach den Richtlinien des Korans. Sie halten sich daran, was der Prophet Mohammed gelehrt und getan hat. Mohammed hat unter anderem Feldzüge geführt und seine Gegner und Andersgläubige umgebracht. Einzelne muslimische Gruppierungen nehmen dies als Anschauungsunterricht und leben dies nach.

Wir reden hier von einer Minderheit.
Richtig. Es gibt weltweit 1,57 Milliarden Muslime. Die wenigsten sind radikal. Viele Muslime haben nie den Koran gelesen, besuchen keine Moschee, kennen den grössten Teil der Suren nicht und sind trotzdem bereit, für ihren Glauben einzustehen. Im Kosovo trifft man Frauen in Mini-Jupe und kurzen Tops auf der Strasse. In Saudi-Arabien würden sie für diesen Aufzug ausgepeitscht. Auch im Kosovo oder in Bosnien erkennt man inzwischen den Einfluss der Wahhabiten. In den verschiedensten Orten werden neue Moscheen mithilfe von Geldern aus Saudi-Arabien und Katar gebaut.

Sind die Wahhabiten, die Saudi-Arabien unterstützt, auch im Westen auf dem Vormarsch? Was wollen sie erreichen?
Mission – was das Werben für den Glauben angeht, wird gern die hier vorherrschende Glaubensfreiheit genutzt – problematisch ist, dass die Vertreter hier genau auf die Freiheit pochen, die im Herkunftsland in keinster Weise geboten wird.

Im Westen gerät der Islam mit Terror, Schleier und IS in die Schlagzeilen. Haben wir dadurch eine falsche Sicht auf den Nahen Osten?
Ja. In Europa und den USA haben wir das Gefühl, die Muslime im arabischen Raum seien alle radikal und fanatisch. Doch das ist nicht so. In Ägypten gibt es nicht 80 Millionen Koranschüler. Die meisten Jugendlichen interessieren sich nicht besonders für Religion. Ihnen liegt der Fussball näher. In den Bars und Lokalen in Kairo laufen den ganzen Tag über Musikvideos mit Gesängen, die nichts mit Religion zu tun haben.

So existiert nicht der eine Islam?
Die islamische Welt ist völlig verschieden und gespalten. Sowohl Sunniten wie auch Schiiten beanspruchen für sich, den wahren Islam zu vertreten. Die Erzfeinde bekriegen sich zurzeit in Syrien, Irak und Jemen.

Die Kriege in der arabischen Welt kosten Tausenden, egal welcher Religion, das Leben. Im Westen nehmen wir dies kaum wahr.
Ja, die Zivilisten leiden als Erste unter den Terroranschlägen und Kriegen. Der Islam unterscheidet zwischen dem Haus des Krieges, in dem der Islam noch nicht verbreitet wurde, und dem Haus des Friedens, das islamisch ist. Fakt ist: Es gibt keine Einheit zwischen den Muslimen, auch nicht im Haus des Friedens. Die einzelnen Parteien bekämpfen sich unbarmherzig. Das war schon in der Vergangenheit so: Tass Saada, ein Mitstreiter von Arafat, erzählte mir, wie arabische Gruppierungen die Camps der PLO in Jordanien und Libanon angriffen und ihre Waffen stahlen.

Heute geraten Christen, Juden und Jesiden zwischen die Fronten, werden verfolgt und vertrieben.
Die Verfolgung aus Glaubensgründen ist ein weltweites Phänomen. Mir erklärten vor kurzem Christen aus der Türkei, dass die Situation für sie selbst hier in der Schweiz schwieriger wird. Sie bekommen Probleme, wenn Landsleute merken, dass sie Christen sind, etliche sind aufgrund ihres Namens leicht zu identifizieren.

Haben die religiösen Minderheiten in Syrien und dem Irak eine Zukunft?
Im Moment sieht es nicht danach aus. Wenn sich die Regierungen stabilisieren, könnte sich dies bessern. Im Iran etwa werden längst nicht alle Christen verfolgt, meist geschieht es dann, wenn sie vom Islam konvertiert sind oder missionieren. Andranik Teymourian, der Kapitän der iranischen Fussball-Nationalmannschaft, ist Christ und steht dazu. Für den Ministerpräsidenten Hasan Ruhani, der sich gerne mit ihm in den Medien zeigt, scheint dies kein Problem zu sein.

In Ihrer Arbeit für die Menschenrechtsorganisation «Open Doors» begegnen Sie Christen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden. Was erhoffen sich diese von den Kirchen im Westen?
Diese Menschen wünschen sich, dass man sie nicht vergisst, für sie betet und die Stimme für sie, die Menschenrechte und die Glaubensfreiheit erhebt. So erfahren sie, dass wir solidarisch sind.

Kürzlich reisten der Präsident des Kirchenbundes Gottfried Locher und Bischof Felix Gmür in den Libanon, und machten sich für die Religionsfreiheit stark. Bringen solche Aktionen etwas?
Solche Besuche drücken unsere Verbundenheit mit den Menschen in den betroffenen Gebieten aus. Es gibt ihnen das Gefühl, dass der Westen sie nicht vergessen hat. In ihrer schwierigen Lage bedeuten solche Zeichen der Solidarität viel. Den IS wird dies jedoch kaum beeindrucken.

An der Universität Basel fand vor kurzem ein Podium mit dem Titel «Bedroht der Islam das Abendland?» statt. Was ist Ihre Meinung dazu?
Wenn man durch die muslimischen Quartiere in London, Paris und anderen Grossstädten geht, wirken diese bedrohlich. Abgeschottet entstehen hier Gettos, die ihre eigene Sprache, Kultur bis hin zu den Scharia-Gerichtshöfen pflegen. Ein Stück weit ist da der Westen selber schuld. Nicht nur was die sozialen Verhältnisse betrifft. Auch im Bezug auf die Religion. Muslime stehen für ihren Glauben ein. In der Diskussion merken sie rasch, dass sich der Glauben vieler Europäer aus etwas Bibel, Buddhismus und Humanismus zusammensetzt. Und dass ihre Toleranz eigentlich Gleichgültigkeit ist. Die Diskussion über Werte kann so nicht auf Augenhöhe stattfinden. Auf der anderen Seite kann es geschehen, dass sich der Islam in Europa säkularisiert und sich die Jugendlichen nicht mehr mit dem identifizieren, das sie von ihren Eltern und in den Koranschulen gelernt haben.

Interview: Tilmann Zuber

Daniel Gerber ist freier Journalist, Autor und Mitarbeiter bei «Open Doors». Im Fokus seiner Bücher stehen der Sudan, Ägypten, Gazastreifen und Pakistan. «Open Doors» ist eine Menschenrechtsorganisation, die sich vor allem der Christenverfolgung widmet.

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