Bei religiösen Konflikten ist das Reden über Religion tabu
Die Kappeler Milchsuppe. ist der Klassiker in der Schweizer Geschichte der Friedensförderung. 1529 stehen 30'000 reformierte Soldaten 9000 katholischen Kämpfern gegenüber. Kurz bevor das grausame Hauen und Stechen losgeht, gelingt es dem Mediator, dem Glarner Landamman Hans Aebli, die Schlacht abzuwenden. Bei einer heissen Milchsuppe kühlen sich die Gemüter der Krieger ab.
Leider hat es nur zwei Jahre gedauert und schon wieder prallten die Heere 1531 aufeinander. Trotzdem bildet das Kappeler Versöhnungsessen für Heidi Grau, Chefin der Abteilung Menschliche Sicherheit im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) einen guten Einstieg bei der ETH-Tagung, um zu zeigen, wie Friedensförderung in religiös aufgeladenen Konflikten funktionieren könnte. Gerne wäre sie mit Expertise dem Landammann Aebli beigestanden, hätte auch das Gespräch mit anderen Friedfertigen gesucht, mit Geschäftsleuten, Pfarrern und Honoratioren. Aber eines wäre in diesen Gesprächen von vornherein tabu gewesen: das Diskutieren über die richtige Religion. «Bei der Friedensförderung darf es nie um religiöse Dogmen gehen. Das gehört zum Absoluten und kann nicht wegverhandelt werden», sagte die EDA-Diplomatin.
Projektbezogen und pragmatisch
Nicht über Religion zu sprechen - das ist ein wichtiger Ansatz in der Friedensförderung bei religiösen Konflikten. Dies hat schon Shamil Idriss, Direktor der NGO «Search for Common Ground» SFCG, als herausragende Maxime betont. Er steht der in 35 Ländern engagierten Friedensorganisation SFCG vor, die mit 700 vollamtlichen Peacekeepern den grössten Erfahrungsschatz hat, um religiöse Konflikte abzumildern.
«Besser wir gehen pragmatisch vor, bringen religiös unterschiedliche Gruppen in sozialen Projekten zusammen», sagte er in seiner Rede. Die Palette der Projekte sei dabei weit gespannt und könne, so Idriss, von Umwelteinsätzen bis zur Müllbeseitigung gehen. Wichtig ist eben, dass die Kontrahenten ins Gespräch kommen. Das galt vor 500 Jahren auf dem Kappeler Schlachtfeld gleichermassen wie heute in Jemen. Dort stehen schiitische Huthi-Rebellen den von Saudi-Arabien unterstützten Sunniten gegenüber.
Das Schweizer Modell skizzierte Angela Ullmann vom Center für Security Studies der ETH, das auch Gastgeber der Tagung war. Ihre optimistische These: «Die Schweiz hat politische Mechanismen entwickelt, die der friedlichen Koexistenz der Religionen förderlich sind.» Das Konkordanzprinzip gehört dazu. Denn hier würden statt Mehrheitsentscheide die Interessen aller zu einem Idealkompromiss gebündelt.
Islampolitische Blockade
Dem positiv gezeichneten Gemälde der helvetischen Religionslandschaft wollte dann die Islamwissenschaftlerin Rifa’at Lenzin noch etwas graue Töne applizieren. «In der Islampolitik ist die Schweiz ein Entwicklungsland», sagte sie. Seit zwanzig Jahren diskutiere die Schweiz über eine Imam-Ausbildung. Während Deutschland und Österreich hier vorwärts gemacht hätten, sei in der Eidgenossenschaft die Situation bis heute blockiert.
Rifa'at Lenzin erntete damit keinen Widerspruch. Angela Ullmann sprach vom «Muslim making» und sagte: «Seit 9/11 sprechen wir meist in der Öffentlichkeit nicht mehr von Kosovaren, Türken oder Syrer, sondern fassen alle unter der Generalbegriff Muslime zusammen.»
Delf Bucher, mreformiert.info, 29. Januar 2019
Bei religiösen Konflikten ist das Reden über Religion tabu