Frau Gisin, wie haben Sie Ihr erstes Jahr als Kirchenrätin erlebt?
Es war und ist eine strenge Zeit, manchmal belastend, aber auch immer wieder inspirierend. Die Arbeit ist sehr interessant, fordert mich aber auch stark, weil alles neu ist und gerade sehr viel zusammenkommt. Ich versuche, alles unter einen Hut zu bringen, da kann auch mal etwas untergehen. Mein Ziel ist es nicht, immer perfekte Arbeit zu leisten, sondern bei allem menschlich zu bleiben.
Ihre Aufgaben sind die Jugendarbeit und der Religionsunterricht. Was gibt es hier zu tun?
Vieles ist zurzeit in Bewegung. Die grössten Veränderungen stehen beim Religionsunterricht an der Schule an. Hier geht der Fachstellenleiter in den nächsten Jahren in Pension. Auch rund ein Drittel der Religionslehrpersonen wird dann pensioniert. Diesen Generationenwechsel müssen wir auffangen, sonst besteht die Gefahr, dass wir uns vom kirchlichen Religionsunterricht an den Schulen verabschieden müssen. Für uns ist dies der Anlass, die Aufgaben der Fachstelle zu evaluieren. Und es bietet die Chance, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir die Zukunft des Religionsunterrichts an den Schulen gestalten wollen. Der kirchliche Religionsunterricht an den Schulen muss seine gute Position behalten, das ist uns sehr wichtig. Und er sollte im ganzen Kanton ökumenisch sein.
Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?
Die Schwierigkeit ist, dass die Strukturen durch die Autonomie unserer Kirchgemeinden sehr komplex sind. Wir möchten die Zusammenarbeit unter den Kirchgemeinden vereinfachen, und die Fachstelle benötigt ein neues Reglement über die Ausrichtung des Religionsunterrichts. Dazu müssen wir uns zuerst eine Übersicht über die Religionslehrpersonen im Kanton verschaffen. Als ehemalige Präsidentin einer Kirchenpflege verstehe ich, dass die Kirchgemeinden nicht unbedingt Bedarf haben, sich hier mit der Kantonalkirche zu vernetzen, solange der Religionsunterricht, den sie selber organisieren und verantworten, gut läuft. Wenn aber der Religionsunterricht weiterhin einen guten Platz haben soll an den Schulen, ist es unerlässlich, dass die Kantonalkirche dies unterstützt.
Warum?
In den Kirchgemeinden herrschen verschiedene Vorstellungen darüber, was die Aufgabe des Religionsunterrichts ist. Der Kirchenrat findet, dass blosses «Reden über Religionen» nicht im Sinn der Kirche ist. Wir wünschen uns eine Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben, aber auch mit der religiösen Vielfalt in unserer Region. Die Religionslehrpersonen sollen hier als Vorbilder wirken. Zudem möchten wir, dass weiterhin Kinder, deren Eltern keiner Konfession oder einer anderen religiösen Tradition angehören, den Unterricht besuchen. Damit leisten die Kirchen einen Beitrag für das friedliche Miteinander in unserer Gesellschaft. Meine Aufgabe ist es, herauszufinden, wie wir dies im ganzen Kanton erreichen. Mein katholischer Kollege und ich gehen dies gemeinsam an.
Im Vorfeld Ihrer Wahl haben Sie gesagt, dass Sie als Kirchenrätin gestalten und auch Ungewöhnliches wagen möchten. Ist Ihnen dies schon gelungen?
Da bin ich ständig dran. Beim Religionsunterricht habe ich das Gefühl, dass ich ständig Grenzen sprenge, indem ich Bestehendes in Frage stelle.
Zum Beispiel?
Zur Unterstützung des Religionsunterrichts wurde vor vielen Jahren von den Landeskirchen in Baselland und Basel-Stadt gemeinsam eine ökumenische Medienverleihstelle eingerichtet. Der Kirchenrat hat vor ein paar Monaten den Ausstieg angekündigt. Das hängt unter anderem mit Veränderungen beim Unterricht, aber auch mit rückläufigen finanziellen Mitteln zusammen. Es muss nicht alles digital werden, aber wir müssen uns überlegen, was es für die Zukunft wirklich braucht. Bei den Betroffenen der Medienstelle stossen wir damit verständlicherweise auf Ablehnung.
Sie haben auch gesagt, dass es bei Ihrer Arbeit nicht zuletzt um «materielle Möglichkeiten» geht. Heisst das einfach weniger ausgeben, wie etwa für die Medienverleihstelle?
Nein, es geht mir und dem Kirchenrat nicht einfach um einen Abbau. Für mich ist in einem halb vollen Glas etwas drin, mit dem ich etwas anfangen kann. Ich finde, dass man mit der Medienverleihstelle so etwas wie einen «Rolls-Royce» hat, den man sich nun nicht mehr leisten kann. Das Herunterfahren von Bestehendem ist auch für mich frustrierend. Darum möchte ich an der Stelle etwas Neues schaffen mit den Möglichkeiten, die wir haben. Wir nutzen die Gelegenheit, um die Bedürfnisse abzuklären und Ideen zu sammeln.
«Aus meiner Sicht geht es um den Erhalt des Glaubens und der christlichen Tradition» – ein weiteres Zitat von Ihnen aus Ihrer Bewerbung als Kirchenrätin. Ist der christliche Glaube in Gefahr?
Die Kirchen verlieren Mitglieder, das ist bekannt. Doch nach wie vor haben viele ihre Wurzeln in der christlichen Tradition, sie erkennen diese einfach nicht. Gleichzeitig besteht ein grosses Bedürfnis nach Spiritualität. Hier können wir anknüpfen als Volkskirche. Wir sind kein exklusiver Club, sondern für alle da. Dies müssen wir immer wieder zeigen.
Wie während der Pandemie und jetzt beim Krieg in der Ukraine?
Ja. Das Friedensgebet für die Ukraine in der O«enen Kirche Elisabethen ist ein gutes Beispiel, wie sich die Kirche zeigen kann. Es geht um den Frieden, nicht um eine Parteinahme. Es ist gut, wenn man sich jetzt mit der Ukraine solidarisiert, doch der Frieden fängt bei uns an. Es geht um etwas Übergeordnetes, um ein friedliches, gewaltfreies Zusammenleben. Das fängt in unseren Kirchenstrukturen an. Denn auch hier erlebt man oft sehr unschöne Dinge.
Und Beten hilft?
Ja. Beim Beten verbinden wir uns mit der geistlichen Welt. Ich glaube, dass dies grosse Auswirkungen hat auf uns selber und auf andere oder weltlich ausgedrückt: Beten ist eine Haltungsfrage.
Sie kommen aus einem freikirchlichen Elternhaus. Wie hat Sie das geprägt?
Ich musste mich losstrampeln aus der Enge und meinen eigenen Weg finden, um Vertrauen ins Leben und in den Glauben zu gewinnen. Meine Erkenntnis daraus: Alles, was extrem ist, egal ob es um den Glauben, die politische Haltung oder Corona geht, bringt uns nicht weiter.
Interview: Karin Müller
Bestehendes in Frage stellen