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Ursula Walti, Seelsorgerin im Paraplegiker-Zentrum Nottwil

Bewegliches Gottesbild

von Carole Bolliger
min
25.09.2024
Nachgefragt: Ursula Walti ist Pfarrerin der Reformierten Kirche Kanton Luzern und seit 13 Jahren Seelsorgerin im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil.

Ursula Walti, Sie bezeichnen Ihre Arbeit als «Traumberuf». Was macht sie so besonders für Sie?

Ursula Walti: Es ist die Nähe zum Leben und zu den Menschen, die mich fasziniert. Jeder Tag bringt Unerwartetes, und ich muss stets präsent und bereit sein. Auch nach 13 Jahren ist diese Arbeit noch sehr spannend und erfüllend. Wir sind nicht nur für Patienten und Angehörige da, sondern werden auch von Pflegekräften, Ärztinnen und Therapeuten geschätzt.

Wie tanken Sie Kraft bei einer so fordernden Tätigkeit?

Ursula Walti: Interessanterweise schöpfe ich viel Kraft aus den Begegnungen selbst. Sie erweitern meinen Horizont und öffnen mein Herz. Natürlich ist es herausfordernd, aber es erfüllt und nährt mich auch. Privat geniesse ich Zeit mit Freunden, Sport und kulturelle Aktivitäten.

Wie gehen Sie mit Patienten um, die nach einem Schicksalsschlag mit Gott hadern?

Ursula Walti: Ich höre zu und lasse ihre Gefühle zu. Ich kann nachvollziehen, wenn jemand verzweifelt fragt: «Wo war Gott?» Ich nehme das auf, lasse es stehen und schaue gleichzeitig, wie es weitergehen kann. Eine Glaubenskrise bleibt nie stehen, es geht immer weiter. Schwieriger finde ich es, wenn Menschen denken, sie würden für etwas bestraft. Da versuche ich, behutsam andere Perspektiven anzubieten.

Wie gestalten Sie Ihre seelsorgerische Begleitung für Patienten in Krisensituationen?

Ursula Walti: Ich versuche, maximal offen und präsent zu sein, mit allen Sinnen. Ich stelle mich auf mein Gegenüber ein, höre zu und schaue, was er oder sie aktuell braucht. Manchmal reicht es, einfach da zu sein, ohne viele Worte. Andere brauchen ein Gegenüber, um Dampf abzulassen, für Sinnfragen oder religiöse Themen. Es geht darum, im Moment wahrzunehmen und darauf zu reagieren.

Welche Rolle spielt Spiritualität in Ihrer Arbeit?

Ursula Walti: Ich habe einen weiten Begriff von Spiritualität. Es umfasst alles, was Menschen bewegt – ihre Freuden, Leiden, Sehnsüchte, was sie nährt. Wir sprechen darüber, welche Perspektiven ihnen Kraft geben, wie sie sich motivieren können. Für mich hat das alles einen spirituellen Aspekt. Natürlich kommen auch viele mit konkreten religiösen Anliegen wie dem Wunsch nach einem Gebet oder Segen.

Wie stellen Sie sicher, dass die Seelsorge inklusiv und respektvoll gegenüber allen Glaubensrichtungen ist?

Ursula Walti: Ich darf für alle da sein, unabhängig von ihrer Religion, Konfession oder Weltanschauung. Das ist sehr grosszügig von der reformierten Kirche und dem Paraplegiker-Zzentrum, die mich angestellt haben. Bei Bedarf arbeite ich auch mit einem Imam, Hindu-Priester oder Vertretern von Freikirchen zusammen. Jeder Patient, jede Patientin soll ein passendes seelsorgerliches Gegenüber haben. Erstaunlicherweise bin ich das oft auch für Menschen anderer Glaubensrichtungen, Agnostiker und Atheistinnen.

Erschüttern die schweren Schicksale, die Sie hier erleben, nie Ihren eigenen Glauben?

Ursula Walti: Manche Geschichten erschüttern mich, aber nicht meinen Glauben. Ich habe ein sehr weites, offenes und bewegliches Gottesbild. Es ist mein Horizont, mein Boden, es trägt mich und hält stand, trotz allem, was ich hier höre.

Können Sie zum Abschluss eine besondere Anekdote aus Ihrer Arbeit teilen?

Ursula Walti: Einmal erzählte mir ein Patient von einem Lied, das ihm sehr wichtig war –«Loieherz» von Megawatt. Kurz darauf traf ich auf der Intensivstation eine Frau, die kämpfte. Als die Pflege sie wusch, sah ich, dass sie einen Löwen auf ihrem Herzen tätowiert hatte. Ich konnte ihr dann die Inspiration weitergeben, die ich von dem anderen Patienten erhalten hatte. Solche Momente zeigen mir immer wieder, wie alles verbunden ist und dass meine Arbeit sowohl aus Geben als auch aus Empfangen besteht.

 

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