Bilder und Reportagen vom Rand der Gesellschaft
Eigentlich mag Klaus Petrus die Bezeichnung am Rand nicht. Seit jeher habe die Mitte bestimmt, wer am Abgrund steht, wer abgehängt ist, wer verloren geht, sagt er am Telefon. Deshalb rückt der Fotojournalist aus dem Wallis seit Jahren Menschen vom Rand der Gesellschaft in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Er reist zu den Brennpunkten auf dem Balkan, nach Somalia oder in die Ukraine. In seinen Langzeitreportagen dokumentiert er den trostlosen Alltag der Migranten auf der Balkanroute. Er zeigt ihre Verletzungen durch Grenzsoldaten und ihr endloses Warten, bis sie endlich ein Schlupfloch in der Grenze zu finden. «Um nah zu sein, muss man manchmal von weit her kommen», sagt Klaus Petrus lakonisch.
Vom Professor zu den Obdachlosen
Klaus Petrus arbeitet als freier Fotojournalist für Magazine wie die Süddeutsche Zeitung, FAZ, NZZ, Spiegel Online, reformiert. und den Kirchenboten. Ausserdem ist er Redakteur des Strassenmagazins Surprise. Vor seiner journalistischen Karriere war er Professor für Philosophie in Bern. Was brachte den Mann vom Lehrstuhl zu den Obdachlosen? Philosophen seien skeptisch und hinterfragten Vorstellungen, sagt Petrus. «Wir alle haben starke Bilder von anderen im Kopf, zum Beispiel von Prostituierten und Obdachlosen. An diesen Bildern zu kratzen, treibt mich um.»
«Wir alle haben starke Bilder von anderen im Kopf, zum Beispiel von Prostituierten und Obdachlosen.»
Klaus Petrus, Fotojournalist und Reporter
In seinem neusten Buch «Am Rand» legt der Fotojournalist den Fokus auf die Schweiz. Er erzählt die Geschichten von Menschen am Rande der Gesellschaft – vom Obdachlosen, vom Drogensüchtigen, vom Familienvater, der schon 1300 Mal bei einer Prostituierten war, vom Rentner, der sich betrinkt, vom jungen Afghanen, der auch nach drei Jahren nicht ankommt, und von resignierten Thailänderinnen, die sich in der Schweiz prostituieren.
Petrus macht die Menschen nicht zu Opfern oder Tätern, sondern erzählt ihre Schicksale – ohne zu moralisieren oder zu dramatisieren. Sein Werkzeug und Waffe sind Empathie, gepaart mit sprachlicher Präzision und eindringlichen Schwarz-Weiss-Bildern. So gibt er ihnen ihre Würde und Einzigartigkeit zurück, die ihnen Gesellschaft und Sozialstaat verweigern. Klaus Petrus: «Menschen sind mehr als Trinker, Freier oder Migrantinnen. Wenn man auf den Menschen schaut und nicht auf Stereotypen, dann sind wir uns alle ähnlich». Das zu zeigen und zu erzählen, sei sein Anliegen, sagt Petrus.
Die Krisen gleichen sich
Klaus Petrus fotografiert schwarz-weiss. Die monochrome Fotografie sei zeitloser und zeige, wie sehr sich die Krisen gleichen. Im vergangenen Jahr dokumentierte Petrus die Hungersnot in Somalia. «Zum Teil habe ich Bilder gemacht, die wir von den Hungerkatastrophen der 80er Jahre kennen», sagt er. Und meine Kriegsbilder aus der Ukraine erinnern stark an den Jugoslawien-Konflikt in den 90er Jahren.
Für seine Arbeiten wurde Klaus Petrus mehrfach ausgezeichnet. 2022 gewann er den ersten Platz beim renommierten Swiss Press Photo Award, in diesem Jahr belegte er den dritten Platz. Petrus freut sich über die Auszeichnungen. Denn dann bekämen die Themen und Menschen mehr Aufmerksamkeit, die im Schatten der Gesellschaft leben. Zum Beispiel die Erntehelfer, die täglich für frisches Gemüse und Obst auf unserem Tisch sorgen und über die wir kaum etwas wissen.
Autor: Tilmann Zuber
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