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Brutales Spiel

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15.03.2021
Auch wenn die Migration in der Corona-Krise kaum mehr Thema ist, sind die Probleme noch lange nicht gelöst. Tausende Flüchtlinge sitzen an der bosnisch-kroatischen Grenze fest, ohne Möglichkeit auf Asyl. Vom brutalen Kampf an der EU-Aussengrenze.

Dreimal schon hat Hassan Wali in den vergangenen Wochen an der bosnisch-kroatischen Grenze das «Game» gewagt – so nennen die Migranten ihren Versuch, unbemerkt in ein EU-Land zu gelangen. Und immer wurde der 25-jährige Pakistani von der kroatischen Polizei aufgegriffen und über die Grenze zurück nach Bosnien geschafft – mit Gewalt. «Sie schlagen mit Knüppeln auf uns ein, verdrehen uns die Arme, treten uns in den Rücken, sie nehmen uns alles Geld weg und machen die Handys kaputt.»

«Ein wenig Gewalt ist nötig»
Wali sitzt auf dem Dach eines verfallenen Altersheimes in Bihać, einer Stadt im Nordwesten Bosniens, er wirkt müde und abgekämpft. An die 200 Geflüchtete haben hier vorübergehend Unterschlupf gefunden, fliessendes Wasser, Toiletten und Strom gibt es nicht. Seit sich 2018 die Balkanroute von Ungarn nach Westen verschoben hat, ist Bosnien für viele Migranten zur Sackgasse geworden: Von 8000 Geflüchteten, die derzeit hier festsitzen – manche Organisationen reden von 12 000 –, leben angeblich 2000 ausserhalb der sechs offiziellen Camps irgendwo in Wäldern, in Baracken oder verfallenen Gebäuden und kommen nicht weiter – wie Hassan Wali.

Dass die Migranten bei ihrem Versuch, die Grenze zu überqueren, gewaltsam zurückgeschoben werden, streitet die kroatische Regierung ab. Zwar hatte 2019 die damalige kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović gegenüber dem Schweizer Fernsehsender SRF eingeräumt, dass ihr Land Abschiebungen vornehme und dabei «natürlich ein wenig Gewalt» nötig sei. Inzwischen ist von «haltlosen Behauptungen» die Rede und davon, dass sich die Geflüchteten derlei Verletzungen bloss ausdenken oder selbst zufügen.

Dabei sind die Beweise erdrückend. Im Dezember letzten Jahres publizierte das Border Violence Monitoring Network (BVMN), ein Zusammenschluss von NGOs und Menschenrechtsorganisationen, auf 1500 Seiten ein «Schwarzbuch der Pushbacks». Darin werden 892 Zeugnisse von Abschiebungen in Italien, Griechenland, Ungarn, Kroatien und Slowenien erfasst, die insgesamt 12 654 Personen betreffen – bei 60 Prozent solcher «Pushbacks» soll Gewalt im Spiel sein. Dass derlei Rückschaffungen gegen geltendes Recht verstossen– und zwar unabhängig davon, ob Gewalt im Spiel ist –, weiss auch die kroatische Regierung. Wer in seinem Heimatland bedroht oder verfolgt wird, hat nämlich grundsätzlich das Recht, in einem anderen Land um Schutz und Asyl zu ersuchen. Dieses Recht wird von Staaten wie Kroatien verletzt, sobald Migranten aufgegriffen und auf der anderen Seite der Grenze wiederum abgesetzt werden.

Lob für die Migrationspolitik
Obschon illegal, wird diese Abschottungspolitik von der EU gefördert. In ihrem Haushaltsrahmen für 2021–2027 hat die EU-Kommission unlängst eine Erhöhung der Finanzmittel für die Posten «Grenzsicherung» und «Migration» auf 34,9 Milliarden Euro vorgeschlagen; für den Zeitraum 2014–2020 waren es noch 13 Milliarden. Allein den kroatischen Grenzschutz unterstützt die EU mit 6,8 Millionen Euro pro Jahr. Beim Treffen der EU-Innenminister in Zagreb vor gut einem Jahr wurde Kroatien denn auch ausdrücklich für seine Migrationspolitik gelobt. Der Regierung dürfte das nur recht sein. Zwar ist das Land seit 2013 Mitglied der EU, jedoch kein Teil des Schengen-Raums. Schon deswegen wird Kroatien einiges daransetzen, dem Rest der EU zu zeigen, dass es sehr wohl in der Lage ist, seine Grenzen zu schützen.

Ob diese Abschiebungspolitik Menschen davon abhalten wird, in die EU zu flüchten, ist zu bezweifeln. Hassan Wali jedenfalls wird es aufs Neue versuchen. Die Route hat er bereits festgelegt. Wenn er mit Essen und Trinken, einem Schlafsack und einem zusätzlichen Paar Schuhe im Rucksack drei Kilometer pro Stunde schafft – so rechnet er aus –, könnte er in vierzehn Tagen Kroatien und Slowenien durchquert und Triest erreicht haben. Wie es dann weitergeht, weiss Wali noch nicht. «Vielleicht versuche ich mein Glück in der Schweiz.» In der Schule habe der Lehrer ihnen als Beispiel für ein schönes, sicheres, sauberes Land immer eines gezeigt mit Bergen und Kühen und freundlichen Menschen. Daran erinnert sich Hassan Wali bis heute.

Text und Foto Klaus Petrus, kirchenbote-online

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