Darf die Kirche Flagge zeigen?
Die Pauluskirche in Bern zeigt Flagge. Ein schätzungsweise zehn Meter langes Stoffband in Orange hängt an dem monumentalen Jugendstilturm und bekennt sich mit metergrossen Lettern zu einem «JA!» - einem Ja zur Konzernverantwortungsinitiative (Kovi). Kein Wunder, dass das starke Signal der Pauluskirche gerne in den Medien als Sujet gewählt wird, wenn sie das Thema der kirchlichen Unterstützung für die Kovi illustrieren wollen. Und die Kirche im Berner Länggass-Quartier ist kein Einzelfall: 20 katholische und reformierte Kirchen in und um Bern bekennen mit Kovi-Orange Farbe.
Natürlich gab es Kritik. Unternehmer meldeten Widerspruch an, Leserbriefe bezogen Gegenposition in der Berner Lokalpresse, der Präsident des Kleinen Kirchenrats der Stadt Bern wollte die Flaggen abhängen. Von Seiten der Kirchenmitglieder vernahm Pfarrer Uli Geisler von der Pauluskirche aber mehrheitlich wohlwollende Zustimmung: «Einer sagte mir: 'Ich finde es gut, wenn die Kirche deutlich zeigt, wofür sie steht.’»
«Aufklären- nicht beeinflussen»
In der Zwinglistadt Zürich liegen die Dinge anders. Hier hat der Kirchenrat des Kantons den reformierten Gemeinden auferlegt, als öffentlich-rechtliche Körperschaft in ihrem äusseren Erscheinungsbild strikte Neutralität zu wahren. Der landeskirchliche Mediensprecher Nicolas Mori präzisiert: «Der Brief des Kirchenrats war weder eine Empfehlung noch eine Anordnung. Er erinnerte einfach daran, was im Rahmen des geltenden Rechts möglich ist.»
In einem Radiointerview mit SRF erinnerte der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller nochmals daran: «Wir als Kirchen müssen ausgeglichen informieren – aufklären, nicht beeinflussen.» Trotzdem verzichten wie in Bern einige Kirchen auch in Zürich nicht auf die Kovi-Flagge an Kirchengebäuden. In einer Podiumsdiskussion letzte Woche schloss Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist wohl eine Beflaggung der symbolträchtigen Zwingli-Kirche aus, hielt aber fest: «Wenn innerhalb der Kirchenpflege ein demokratischer Beschluss gefällt wurde, steht der Beflaggung nichts entgegen.»
«Keine ethische Glaubensfrage»
Auch Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen, war das Werben für ein Kovi-Ja an Kirchenmauern ein Dorn im Auge. Der Jurist ist überzeugt: «Hier geht es nicht um ethische Glaubensfragen, sondern zuvörderst um extreme Haftungsregelungen und Sorgfaltspflichten.» Der Katholik, der zehn Jahre Ministrant war, stört sich vor allem daran, «mit welcher Vehemenz und Mächtigkeit sich die Kirche für diese Initiative engagiert». Das sei eine absolutistische und anmassende Haltung, wirft er den kirchlichen Befürwortern vor. Man könne auch Christ sein und mit guten Gründen Nein stimmen. Vor Kurzem lancierte er zusammen mit kantonalen Mitstreitern Stimmrechtsbeschwerden, die bei vier Kantonen (Aargau Bern, St. Gallen und Thurgau) eingereicht wurden. Damit wolle er keineswegs den Diskurs von Pro und Contra zur Unternehmensverantwortungsinitiative, wie Müller die Kovi nennt, unterbinden. «Aber ich fordere, dass die Kirche als öffentlich-rechtliche Institution sachlich und transparent kommuniziert.» Drei Kantone haben bislang Nichteintreten auf das jungfreisinnige Anliegen beschlossen. Nun wollen sie ihre Beschwerde zum Bundesgericht weiterziehen und dort mit einem Grundsatzentscheid eine höchstrichterliche Klärung erwirken
Eingriff in die Religionsfreiheit
Interessant in diesem Zusammenhang ist die Stellungnahme des Alt-Bundesrichters Giusep Nay in der Online-Zeitschrift kath.ch: «Die Jungfreisinnigen verkennen die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Anerkennung und der Religionsfreiheit. Ein staatliches Verbot würde die Religionsfreiheit verletzen.» Gerade aufgrund der Religionsfreiheit stehe es den Kirchen frei, eine Initiative, die wesentlich auch von ihren eigenen Hilfswerken mitgetragen werde, zu bewerben.
Delf Bucher, reformiert.info
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