Das Ende einer Epoche
Kurz vor den Sommerferien erreichte die Redaktion die Nachricht: Die Deutschschweizer Vereinigung der Pfarrfrauen hat sich zum letzten Mal getroffen und löst sich auf. Es seien immer weniger Mitglieder geworden, sagt Präsidentin Elisabeth Domann. Ein Zeichen dafür, dass auch die Pfarrfrauen langsam aussterben. 1928 trafen sich erstmals einige Deutschschweizer Pfarrfrauen in St. Chrischona bei Basel und tauschten sich über ihre Arbeit aus. Das war der Beginn des Vereinigung.
Elisabeth Domann sieht für den Rückgang zwei Gründe: Die Feminisierung des Pfarrberufs: Es gebe heute viel mehr Pfarrerinnen und damit auch mehr Pfarrmänner. Diese seien nicht bereit, die Rolle der Pfarrfrau zu übernehmen. «Die Frauen arbeiten heute auch selbstbewusst in ihren Berufen und definieren sich nicht mehr über den Beruf ihres Mannes.» Einige der Pfarrfrauen seien Akademikerinnen, die als Lehrerinnen, Ärztinnen oder Historikerinnen ihre eigene Karriere verfolgen.
Luther erlaubte Pfarrern zu heiraten
Auch wenn es in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird: Mit dem Aussterben der Pfarrfrau geht in den evangelischen Kirchen eine 500-jährige Geschichte zu Ende. Das Amt der Pfarrfrau geht auf die ersten Reformatoren zurück. Martin Luther forderte, dass die Geistlichen des neuen Glaubens heiraten dürfen. Er selbst ging mit gutem Beispiel voran und heiratete die geflüchtete Nonne Katharina von Bora. Sie übernahm Luthers Haushalt, erzog seine Kinder und war Gastgeberin für all die Gelehrten und Studenten, die an Luthers Tafel speisten. Kurz: Katharina von Bora hielt ihrem Mann den Rücken frei, damit er sich seinen Studien widmen konnte.
Viele Rollen gleichzeitig und alle ehrenamtlich
Andere Reformatoren taten es Luther gleich: In Zürich heiratete Zwingli Anna Reinhart, die ihn während seiner Pesterkrankung gepflegt hatte. Und in Basel ehelichte der Reformator Johannes Oekolampad Wibrandis Rosenblatt, die sich fortan als Pfarrfrau um den Haushalt kümmerte, «gehorsam und bibelkundig», wie Oekolampad notierte.
Katharina von Bora wurde zum Vorbild für Generationen von Pfarrfrauen: Diese machten den Haushalt, erzogen die Kinder, führten ein offenes Haus, waren Seelsorgerin, Diakonin, Sekretärin, Leiterin des Kirchenchores, der Frauenkreise und des Kindergottesdienstes. All das taten sie ehrenamtlich – für ihre Männer und für ihre Gemeinde.
Wie auf dem Präsentierteller
Das Pfarrhaus war über Jahrhunderte das Leitbild der bürgerlichen Familie. Dementsprechend standen die Pfarrfrauen im Mittelpunkt und unter Beobachtung der Kirchenleitungen. Sie habe sich manchmal wie auf dem Präsentierteller gefühlt, erzählt Domann, als ihr Mann seine Pfarrstelle im bündnerischen Tschiertschen antrat. Die Übersetzerin arbeitete zu dieser Zeit für den Sulzer-Konzern im Rheintal.
Als sie 2010 schwanger wurde und die Kinder kamen, blieb sie zu Hause und wurde Pfarrfrau. «Man sprach mich als Frau Pfarrer an und achtete darauf, dass ich im Dorf präsent war und im Hofladen einkaufte», sagt Domann. Sie übernahm den Kinderhütedienst, zeitweise auch den Messmerdienst, weil niemand diesen wollte, und half ihrem Mann im Büro. Ein Sekretariat konnte sich die Kirchgemeinde nicht leisten.
Die Umstellung auf die neue Situation kam für sie überraschend. «O Gott», dachte Domann, denn in Bayern, wo sie herstammt, erwartete niemand mehr, dass die Frau des Pfarrers mitarbeitet. Letztlich habe sie es gerne gemacht und sich im Dorf wohl gefühlt. «Die Bündner waren uns entgegen allen Vorurteilen sehr wohlgesinnt.» Seit sieben Jahren ist ihr Mann Pfarrer in Lenzburg und arbeitet im Team mit anderen Angestellten und vielen Freiwilligen. Hier ist ihr Engagement als Pfarrfrau nicht mehr gefragt. «Wir leben hier schliesslich in einer Stadt, und da erwartet niemand etwas von der Ehefrau des Pfarrers.»
Pfarrfrauen haben viel bewegt
Ende 2024 ist die Pfarrfrauenvereinigung Geschichte. Was bleibt? Der Rückblick auf eine lange Reihe reformierter engagierter Pfarrfrauen, die in der Gesellschaft viel bewegt und ermöglicht haben. Auch politisch: Pfarrfrau Ursula Brunner zum Beispiel kämpfte in den 1970er-Jahren gegen die Migros und für fairen Handel. Als die Migros den Bauern in Südamerika keine höheren Preise zahlen wollte, gingen die «Bananenfrauen» auf die Strasse. Brunner wurde zur Pionierin des fairen Handels in der Schweiz.
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