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«Das Glück liegt vor der Haustüre»

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19.06.2019
Norbert Bischofberger wandelt für das Schweizer Fernsehen auf spirituellen Wegen. Im Moment ist er für die Dreharbeiten im Jura auf der Via Francigena unterwegs. Wer pilgert, brauche nicht in die Ferne schweifen, meint der Redaktor.

Norbert Bischofberger, Nik Hartmann und Sie wandern für das SRF durch die Schweiz. Hartmann über die Pässe und Sie auf spirituellen Wegen. Warum schauen Ihnen dabei Zehntausende zu?
Stimmt, die Produktion dieser beiden Sendungen ist sehr ähnlich. Ein Produzent von «SRF bi de Lüt» wechselte zu uns und wir übernahmen so die Machart. Doch das Profil dieser spirituellen Wandersendung ist einmalig. Ich habe so etwas nirgendwo sonst gesehen. Zu Ihrer Frage: Ich denke, Natur und Wandern liegen im Trend. Der Schweizer Alpenclub zählt inzwischen 150’000 Mitglieder und an jeder Ecke öffnen neue Outdoorläden.

Worauf führen Sie diesen Trend zurück?
Wir hetzen ständig durch den Alltag und stehen unter Leistungsdruck. Wenn wir einmal die Zeit finden, möchten wir in die Natur hinaus, dort dürfen wir sein, ohne zu müssen. Wir können uns ans Feuer setzen, in die Glut schauen und dem Wind in den Bäumen lauschen. In der Sendung verbinden wir solche Momente mit spirituellen Orten. Da diese Wege in der Nähe liegen, sagen wir den Leuten, schaut, das Glück liegt vor der Haustüre.

Wie viele Zuschauer haben Sie?
Zwischen 30'000 bis 40'000 (mit den Wiederholungen). Die Sendungen haben zudem online eine hohe Auswertung. Die Resonanz ist bedeutend grösser als bei «Sternstunde Religion», die im Studio aufgenommen wird. Etliche Zuschauer schicken uns Bücher und Vorschläge, welche Orte wir noch besuchen sollten.

Die Strecken, auf denen Sie wandern, haben ihre eigene Geschichte.
Absolut. Die Landschaft in der Schweiz hat einen besonderen Charakter. Alle zwanzig bis dreissig Kilometer verändert sie sich und neue Täler, Anhöhen und Ausblicke tun sich auf. Auch kulturell und geschichtlich ist die Schweiz enorm vielfältig. Die Reformation zum Beispiel hat das Land geprägt. Aus dieser Spaltung entstanden die verschiedensten Arten zu glauben. Diese Vielfalt hat sich in der Kultur und im Kirchenbau niedergeschlagen.

Die Wege haben eine spirituelle Kraft. Spürt man diese?
Ja. Im letzten Jahr drehten wir im Val Lumnezia eine Folge über Kraftorte. Es gibt Orte, an denen man die Energie spüren und seine Batterie aufladen kann.

Haben Sie das erlebt?
Ja, aber nicht so unmittelbar, dass ich dies sofort bemerkte. In der Zeit der Dreharbeiten im Val Lumnezia überlegte ich mir, mich beruflich umzuorientieren. Auf der Via Caminata traf ich Pirmina Caminada. Die erste Wildhüterin im Kanton Graubünden hat sich auf Kraftorte spezialisiert. Sie führte mich zum Teufelsstein, auch Erlenstein genannt, an dem man über eine Neuorientierung nachdenken kann.

Das war doch Zufall.
Vielleicht. Damals bereitete mir auch der Ellbogen Probleme. Die Wildhüterin räucherte ihn und es ging mir später besser.

Pilger berichten, dass Sie der Weg verändert. Kennen Sie das?
Ja. Das Wandern entschlackt und führt einen auf das Wesentliche zurück. Es ist wie bei einem Glas Wasser, in dem Dreck schwimmt. Wenn ich es eine Zeit lang stehen lasse, setzt sich der Schmutz ab, und das Wasser wird wieder klar. Das Gleiche geschieht beim Wandern. Gewisse Sachen erledigen sich von selbst, sinken ab und man merkt, sie sind im Leben nicht so wichtig. Anderes hingegen steigt an die Oberfläche und man beginnt, darüber nachzudenken. Beim Gehen fliessen die Gedanken. Und man begegnet Menschen, die einen weiterbringen.

Hat Sie der Weg geprägt?
Einige Begegnungen haben mir die Augen geöffnet. Ich lebe in einer privilegierten Position, habe einen tollen Beruf und eine liebe Familie. Das gilt nicht für alle Menschen. Viele stehen auf der Schattenseite des Lebens.

Macht der Weg gesund?
Generell kann man diese Frage mit Ja beantworten. Das Gehen fördert beispielsweise die Kreativität. Eine Forschungsstudie der American Psychological Association aus dem Jahr 2014 hat gezeigt, dass beim Gehen in der Natur mehr kreative Ideen kommen als beim Sitzen. Die Kreativität nahm bei 81 Prozent der Teilnehmenden zu.

Und wie sieht es bei der Gesundheit aus?
Auch da spricht die Forschung eine klare Sprache: Eine Studie aus Südkorea beispielweise, die mit Frauen im Alter zwischen 60 und 80 Jahren durchgeführt wurde, zeigte, welchen Einfluss das Gehen im Wald auf die Gesundheit hat. Beim einstündigem, mässig schnellen Gehen durch den Wald sank der Blutdruck, die Lungenfunktion verbesserte sich und die Elastizität der arteriellen Blutgefässe nahm zu.

Was ist die Botschaft Ihrer Sendung?
Ich will den Menschen zeigen, das Glück liegt vor der Haustüre. Man muss nicht weit suchen. Jeder Weg kann spirituell sein. Gerade im Zeitalter der Klimaveränderung stellt sich doch die Frage, warum müssen wir in die Ferne fliegen, wenn wir so viele wunderschöne Landschaften und kulturelle Hotspots vor unserer Haustüre haben?

Zum Beispiel?
Die Beatushöhlen bei Thun. Dort trifft man auf ein eindrückliches Höhlensystem und den Heiligen Beatus, den ersten Missionar der Schweiz.

Sie plädieren für das Pilgern vor der Haustüre. Verstehen Sie Menschen, die 2000 Kilometer nach Santiago de Compostela laufen?
Sicher. Der Pilgerboom hat mit unserer Zeit zu tun, in der alles schneller, hektischer und komplizierter wird. Ich selber habe nicht das Bedürfnis, aus meinem Leben auszubrechen, sondern ich möchte den Weg in kleinen Dosen in meinen Alltag einbauen.

Trifft man unterwegs auf Gott?
Absolut. Manchmal geschieht dies unterwegs auf dem einsamen Feld, oder an Pilger- oder Wallfahrtsorten, in Begegnungen mit anderen oder mit einem selber, im Herzen.

Pilgern bedeutet Beten mit den Füssen. Viele, die heute auf den Pilgerwegen unterwegs sind, haben keinen Bezug mehr zur Kirche.
Tendenziell nimmt die Bedeutung der Volkskirchen ab. In der nächsten Generation werden noch weniger Menschen werden Mitglied einer Kirche sein. Da stehen wir vor der Herausforderung, den Menschen, die auf der Suche nach Sinn und Gott sind, etwas anzubieten. Ich denke, die spirituellen Wege bieten eine gute Möglichkeit, mit ihnen über solche Fragen vertieft zu sprechen. Ich verstehe meine Arbeit nicht als Gegenentwurf zu einer hektischen Leistungsgesellschaft, sondern als Angebot im Bereich der Sinnfragen.

Interview: Tilmann Zuber, kirchenbote-online, 19. Juni 2019

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