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«Das Kirchenasyl hat sich als christlich-humanitäre Tradition etabliert»

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17.05.2016
Flüchtlinge suchen Zuflucht in Kirchen. Das sorgt bei uns für Schlagzeilen. Im Gegensatz zur Schweiz arbeiten in Deutschland Kirchen und Behörden zusammen. Der Theologe Wolf-Dieter Just stellte in Basel die deutsche Kirchenasyl-Praxis vor.

Seit Monaten kommen tausende von Flüchtlingen nach Europa. Mit ihnen erhält in der Schweiz eine alte Diskussion neue Aktualität: Die Frage, ob das Kirchenasyl einen Menschenrechtsschutz oder einen Rechtsbruch darstellt. Sie entzündete sich an der missglückten Kirchenasyl-Aktion in der reformierten Basler Matthäuskirche im März. Und auch der Umzug einer Gruppe Asylsuchender aus der reformierten in die katholische Kirche in Lausanne und jetzt der Schutz für eine tschetschenische Familie im reformierten Pfarrhaus im zürcherischen Kilchberg geben zu reden. Das Problem: In der Schweiz hat das Kirchenasyl allenfalls symbolische Bedeutung, aber keine rechtliche Grundlage.

Anders in Deutschland. Hier arbeiten die staatlichen Behörden und die Kirchen zusammen. Rund 270 Kirchenasyle zählt das Land zurzeit. Der Kirchenasyl-Pionier Wolf-Dieter Just, Mitbegründer der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (www.kirchenasyl.de), gab in Basel auf Einladung des Europäischen BürgerInnen Forums forumcivique und des Freundeskreises Cornelius Koch vor kurzem einen Einblick in die deutsche Praxis.

Abschiebungen zu 80 Prozent verhindert
In über 80 Prozent der Fälle habe eine Abschiebung hochgefährdeter Flüchtlinge durch Kirchenasyl verhindert werden können, berichtet Just. Seit dem Beginn der Kirchenasyl-Bewegung 1983 seien so «einige tausend Flüchtlinge vor erneuter Verfolgung, Folter oder gar Tod gerettet worden».

Einen der wichtigsten Gründe für das Gewähren von Kirchenasyl sieht der Ethiker und Sozialphilosoph Just im Gewinnen von Zeit. Kirchgemeinden hätten mehr Zeit, sich um Flüchtlinge zu kümmern, als die Behörden. So können sie Vertrauen aufbauen und wüssten besser Bescheid über die Schutzsuchenden als das Bundesamt. «Die Flüchtlinge geben den Kirchen Wichtiges preis, das sie den Behörden nicht gesagt haben.»

Das letzte Mittel
Just betont, Kirchenasyl komme als letztes Mittel zum Zug, wenn alle Möglichkeiten des Rechtsstaates erschöpft seien. Bei der erneuten Prüfung der Einzelfälle stelle sich dann oft heraus, dass es im Asylverfahren Fehler gegeben habe.

Ein Kirchenasyl sollte gewaltfrei zustande kommen und öffentlich gemacht werden, so Just. Und die Betroffenen müssten eine sinnvolle Perspektive haben.

Kirchen und Behörden einigen sich
In Deutschland sprechen sich Behörden und Kirchen mittlerweile miteinander ab. Doch erst vor gut einem Jahr entfachte Verfassungsminister Thomas de Maiziere einen Streit, als er sagte, dass er das Kirchenasyl «prinzipiell und fundamental» ablehne.

Daraufhin einigte sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit der evangelischen und katholischen Kirche auf eine gemeinsame Erklärung. Darin versichern die Kirchen, dass sie mit dem Kirchenasyl weder den Rechtsstaat in Frage stellen noch Politik betreiben. Das Kirchenasyl sei «kein eigenständiges, neben dem Rechtsstaat stehendes Institut», es habe «sich jedoch als christlich-humanitäre Tradition etabliert». Das Bundesamt erklärt im Gegenzug, dass es nicht beabsichtige, «die Tradition des Kirchenasyls an sich in Frage zu stellen».

Die Beteiligten vereinbarten, «dass in begründbaren Ausnahmefällen so frühzeitig wie möglich eine zwischen Kirchen und Bundesamt gesteuerte, lösungsorientierte Einzelfallprüfung im Rahmen des rechtlich Möglichen stattfindet».

Kirchen dringend gebraucht
Bundesweit existieren in Deutschland mehrere Netzwerke, die als Anlaufstelle für Flüchtlings- und Asylfragen dienen und die Kirchgemeinden rechtlich und theologisch beraten. Die Kirchen würden von den Behörden angesichts des Flüchtlingsandrangs dringend gebraucht, meint Wolf-Dieter Just. Beim Thema Kirchenasyl werde die Kirche ernst genommen. Am Argument der christlichen Beistandspflicht komme die Politik nicht vorbei.

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch»

Karin Müller / Kirchenbote / 17. Mai 2016

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