Das Kreuz mit dem Kreuz
An den Tischen sitzt während einer Modeshow in Mailand die Crème der internationalen Modeszene. Die Fachkundigsten unter ihnen erkennen schnell: Das Kreuz ist auf dem Catwalk zurück. Einmal mehr gilt es unter Fashion Victims als angesagt. Das hat auch Fashion-Ikone Kim Kardashian erkannt. Die Influencerin ersteigerte kürzlich den Kreuzanhänger von Lady Di: das «Attallah Cross» mit elf Amethysten.
Zoff um das Kreuz
Nicht erst seit dem Aufreger um die Moderatorin Wasiliki Goutziomitros sorgt das Kreuz für Zoff. Am Kreuz, das sagt auch Jacqueline Grigo, die ihre Doktorarbeit zum Thema «religiöse Kleidung» geschrieben hat, würden sich seit jeher die Geister scheiden.
Immer wieder kommt es zur Kruzifix-Debatte in Lehrerzimmern. Über religiöse Gegenstände und Kleidungsstücke wird im öffentlichen Raum kontrovers diskutiert. Einer Angestellten am Ticketschalter der British Airways wurde beispielsweise verboten, ihr Kreuz am Hals zu tragen. Auch auf dem Berg sorgt das Kreuz für Zoff. In seinem aktuellen Buch «Mount sacred» berichtet Jon Mathieu von Atheisten, die Gipfelkreuze entfernt haben.
Kreuze in Schulzimmern, damit hat sich auch Ralph Kunz, Professor für praktische Theologie an der Universität Zürich, schon auseinandergesetzt. Wie unterschiedlich der Umgang mit religiösen Symbolen sein könne, das zeige das Beispiel Frankreich: «Dort hängt in allen öffentlichen Schulen die Charta der Laizität. Sie soll für ein möglichst reibungsloses Zusammenleben der verschiedenen Religionen sorgen. Artikel 14 verbietet ‹ostentativ getragene› religiöse Symbole.»
Verletzt eine geschmückte Moderatorin mit Kreuzchen die religiösen Anstandsregeln des öffentlichen Fernsehens? Ralph Kunz sagt: «Wer auch immer beim Schweizer Fernsehen auf diese Idee gekommen ist, darf für sich in Anspruch nehmen, päpstlicher als der Papst zu sein oder, weil das Gefühle verletzen könnte, laizistischer als die Gallier.»
Tod und Erlösung
Vergessen wird bei allem Zwist immer wieder, woher das Kreuzsymbol eigentlich kommt. Historiker nehmen an, dass sich das Kreuz als generelles christliches Symbol erst seit der Zeit der Völkerwanderung (375–568 n. Chr.) nachweisen lässt. Historiker verweisen auf das Konzil von Ephesos (431) als «offizielle Einführung» des Kreuzes als christliches Zeichen.
Christen verbinden das Kreuz mit dem Tod Jesu. Noch heute gilt er manchen als Symbol für einen grausamen Tod. Kirchenväter rückten dann die kosmische, heilende und alles verbindende Bedeutung des Kreuzes in den Fokus. Das Kreuz existierte als Zeichen, lange bevor es zum christlichen Symbol avancierte. Als Sonnensymbol wurde beispielsweise das Kreuz bei den Assyrern, den Nordgermanen und den Galliern verehrt.
Seit Ewigkeiten eint und spaltet das Kreuz. Laizität ist für Ralph Kunz deshalb «ein kostbares Gut, ein Gebot der Toleranz, das mit Augenmass geregelt werden soll». Die ostentative Hypersensibilität in der Gesellschaft passt für ihn nicht «zum entspannten Umgang, den die jüngere Generation mit Zeichen der Identität hat».
Schutzamulett gegen das Böse
Gut zu sehen ist das am Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, dem europaweit grössten Treffen der Gothics. Noch immer schmücken sich die schwarz gewandeten Gestalten zu Depeche-Mode-Klängen mit Kreuzen. Die einen hängen sich das Kreuz umgekehrt um den Hals – aus Provokation gegen die Kirche. Für andere steht das Kreuz für ihr Bekenntnis zum christlichen Glauben. Den meisten dient das Kreuz schlicht als eine Art Schutzamulett gegen dunkle Mächte.
Das Kreuz mit dem Kreuz