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Onesimo

Das Wunder in den Slums

von Michael Schäppi
min
23.12.2024
Kriminalität, Krankheiten, Wellblechhütten: Neun Jahre lebte Familie Schneider in den Slums von Manila. Ihr Hilfswerk Onesimo befreite Tausende Strassenkinder aus den Drogen.

Mit der Zange fischt Marvin eine Ananas aus einem Abfallsack. Der faule Geschmack der Frucht in seinem Mund vermischt sich mit dem Gestank der Abfallberge, Ekel steigt in ihm auf. Sein Blick schweift von der Müllhalde über den Slum zur modernen Skyline am Hafen. Marvin träumt mit einer Million Menschen in den Slums von Manila von einem besseren Leben.

Zehn Jahre später erscheint Marvin sein Glück surreal. Er kann es kaum fassen. Marvin ist eines von fünf ehemaligen Slumkindern, die im November in den reformierten Kirchen in Basel, Olten, Thayngen und Bubendorf von ihrer grossen Chance erzählen: vom Weg aus den Drogen in eine therapeutische Wohngemeinschaft bis zur Universitätsausbildung. Dank Onesimo hat er es geschafft. «Am liebsten würde ich weiterstudieren und Polizist werden», sagt der 22-Jährige.

«Diese Geschichten gehen unter die Haut», weiss Christian Schneider, Gründer von Onesimo. Eine Besucherin sagt ihm: «Im Alltag vergesse ich oft das Leid dieser Welt. Doch die Ausstrahlung der jungen Slumbewohner und die Mut machenden Zeugnisse am Onesimo-Fest waren für mich wie Weihnachten.»

600 Kinder und Jugendliche jährlich

Im Rahmen seiner theologischen Ausbildung lernte Schneider in den Philippinen «Armut in Fleisch und Blut» zum ersten Mal kennen. Armutsverwahrlosten Menschen so persönlich zu begegnen, führte ihn zur Erkenntnis: «Wenn ich den Glauben an einen guten Gott nicht verlieren will, muss ich Teil der Antwort Gottes auf dieses Elend werden.»

Angst hatten unsere Kinder erst nach der Rückkehr in die Schweiz. In der plötzlichen Stille in Basel konnten sie kaum schlafen.

Heute holt Onesimo jährlich 600 Kinder und Jugendliche aus den Slums. Aus den anfänglich sechs Standorten wurden inzwischen fünfzig. Nach der Gründung von Onesimo 1996, lebte Familie Schneider mit ihren Kindern selbst neun Jahre im Slum. Hütte an Hütte, eine dünne Sperrholzplatte trennte ihr Privatleben von dem der Nachbarn. Und der ständige Lärm Tag und Nacht. «Angst hatten unsere Kinder erst nach der Rückkehr in die Schweiz. In der plötzlichen Stille in Basel konnten sie kaum schlafen.»

«Wunderschöne Kindheit in den Slums»

Slumfeuer, Hochwasser, Gewalt und Ungeziefer: Familie Schneider erlebte die ganze Bandbreite des Slumalltags. Doch Schneider fügt sogleich an: «Extreme Gastfreundschaft, unzählige Spielkameradinnen, zu denen unsere Kinder bis heute Kontakt haben.

Oder das Zelebrieren von kleinen Dingen wie einer Geburtstagsfeier und eines gemeinsamen Essens: Das alles war für uns ein wunderschöner Wert, der in der Schweiz auch mal zu kurz kommen kann.» Seine Kinder sagen rückblickend: «Wir hatten eine wunderschöne Kindheit in den Armenvierteln.»

60 bis 70 Prozent schaffen den Sprung ins Erwerbsleben.

Erfolgreiche Arbeitsintegration

«Wir übernehmen im Projekt von Onesimo nur die Rolle des Coachs», sagt Christian Schneider bescheiden. «Die Organisationen Onesimo Youth und Onesimo Bulilit leiten Einheimische.» Im Projekt «Onesimo Youth» betreuen sie Jugendliche in therapeutischen Gemeinschaften und unterstützen sie mit Tagesstruktur, Traumabewältigung, Sport und Gebet. Das Ausbildungsprogramm führt in vier Schritten ins Erwerbsleben: Alphabetisierung, Berufsausbildung, Training in Werkstätten und schliesslich berufliche Integration. Am Ende hat jeder Teilnehmer mehrere Zertifikate: Elektriker, Masseur, Friseur, Caterer, Reinigungskraft und mehr. «60 bis 70 Prozent schaffen den Sprung ins Erwerbsleben», freut sich der Onesimo-Gründer.

Hoffnung für Familien

In Manila leben über 100'000 Kinder auf der Strasse. Onesimo Bulilit unterstützt die Strassenkinder. Die Stiftung bietet Nachhilfe und ein Schutzhaus für missbrauchte Mädchen. Zudem besuchen Eltern mit ihren Kindern Ferienlager von Onesimo. Fernab vom Slum sehen sie oft zum ersten Mal unberührte Natur, spielen, lachen, beten und feiern Gottesdienst. «Oft erlebe ich echte Versöhnung, die das ganze Familiensystem nachhaltig verändert», erzählt Schneider fasziniert.

Schneider, der in der Schweiz als Psychiatriepfleger arbeitet, motiviert es, wenn der Glaube Hand und Fuss bekommt. «Als eine reiche Familie aus der Region Basel die Arbeit in Manila besuchte, war sie so begeistert, dass sie die Slumkinder während der Tournee im Herbst in ihrer Villa wohnen liess.»

 

Das Hilfswerk Onesimo finanziert sich zu 90 Prozent aus Spenden von Privatpersonen und Kirchgemeinden aus der Schweiz. www.onesimo.ch

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