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Den Menschen Raum zum Menschsein bieten

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17.03.2016
Er war Pfarrer, Grossratspräsident, Journalist und Redaktor. Ernst-Ulrich Katzenstein. Sein Leben erzählt sich wie ein Stück Kirchengeschichte. Im April feiert er seinen 80. Geburtstag.

Wenn Ernst-Ulrich Katzenstein erzählt,  unterstreicht er dies mit den  Händen. Bringt er etwas auf den  Punkt, dann senken sich die Finger auf  den Tisch, manchmal , als wischten sie  etwas weg. Ein andermal als klaubten  sie Krümel auf. Dabei bringt er das Geschilderte  auf den Punkt: Etwa wenn  er über den kirchlichen Journalismus  redet und sagt: «Der Köder muss dem  Fisch schmecken und nicht dem Angler  », oder von der Kirche fordert, «sie  müsste auf die Menschen zugehen und  nicht meinen, die Menschen sollten  auf sie zukommen». In der Vergangenheit unterstrich Ernst-Ulrich Katzenstein dies meist noch mit seiner Pfeife.  Mit solchen Aussagen fand der Pfarrer, Politiker und einstige Chefredaktor des Kirchenboten sein Publikum.  «Schnauze mit Herz» nennt dies der Volksmund, in Katzensteins ehemaliger Heimat Berlin.  

Ein Stück Kirchengeschichte  

Im April feiert Ernst-Ulrich Katzenstein  seinen 80. Geburtstag. Wenn  er aus seinem Leben erzählt, schildert  er ein Stück Kirchengeschichte  des 20. Jahrhunderts. Angefangen im  2. Weltkrieg: Die Familie Katzenstein  lebt damals in der Mark Brandenburg.  Der Vater ist Pastor und Mitglied der  Bekennenden Kirche. Die Gestapo  besucht seinen Gottesdienst. Wiederholt  kommt sie ins Pfarrhaus oder  lädt ihn vor zum Verhör. Auf die Nationalsozialisten folgen  die DDR-Kommunisten. Der Pfarrerssohn  lebt in Ost-Berlin. Er legt sich mit den Funktionären an. Urchristen  und Kommunisten wie siehätten  doch vieles gemeinsam, sagt eine Lehrerin. «Nein», bringt es Katzenstein  auf den Punkt: «Ein Christ sagt: ‹Nimm hin, was mein ist.› Ihr sagt:  Gib her, was dein ist.›» Mit solchen  Aussagen eckt Katzenstein an. 1954  flüchtet der 18-Jährige nach West-  Berlin. Er studiert in Göttingen, Berlin  und auf Anraten seines Vaters auch in Basel Theologie. Hier am  Rheinknie doziert Karl Barth, einer  der hervorragendsten Theologen der  Bekennenden Kirche.  Nach dem Studium tritt der junge  Pfarrer seine erste Stelle im zum Teil noch zerbombten Berlin an. Die  Kirchenleitung beauftragt ihn, im neuen Siedlungsgebiet der Gropiusstadt  eine Gemeinde aufzubauen und  zu gründen. Den Gottesdienst hält Ernst-Ulrich Katzenstein in einer  Holzbaracke. Draussen dröhnt der  Dieselgenerator, der den Strom liefert. Die Kirche hat Zulauf. An Pfingsten  tauft der Pfarrer 29 Kinder. In dieser  Zeit lernt Ernst-Ulrich Katzenstein  seine spätere Frau Sabine kennen. Seit 49 Jahren sind die beiden verheiratet.  Ohne die Unterstützung von Sabine  wäre vieles nicht möglich gewesen, erzählt er. 1971 zieht das Paar nach Basel. Er soll in der Überbauung Bäumlihof ein  Kirchgemeindezentrum mit aufbauen. Doch das Volk lehnt die Errichtung  der Siedlung ab. Stattdessen bleibt er  als Pfarrer bis 1989 im Hirzbrunnenquartier. In der reformierten Kirche  herrscht Aufbruchsstimmung. Die  Ökumene wird selbstverständlich. Die Gottesdienste sind gut besucht. Katzenstein tauft, konfirmiert, verheiratet  und beerdigt. Etwa 3200 Abdankungen, ca. 700 Taufen, über 900 junge Menschen im Konfirmationsunterrricht  und ungefähr 550 Trauungen zählt er in seiner Basler Zeit. Manchmal finden drei Hochzeiten an einem Samstag statt. Oft arbeitet Katzenstein  die Nacht durch. Zwischen den Predigtvorbereitungen hält er inne und trinkt einen Tee, manchmal  auch ein Glas Wein. «Jede Feier sollte  persönlich sein, das war mir wichtig,  also auch eine entsprechend ausgerichtete  Ansprache», meint er.

Grossratspräsident und Chefredaktor

In den 90er-Jahren vertritt Katzenstein  die Demokratisch-Soziale Partei im Grossen Rat. Von 2002 bis 2003  ist er Grossratspräsident des Kantons Basel-Stadt, in den folgenden sechs  Jahren Bürgergemeinderat.  Seit 1974 arbeitet Ernst-Ulrich Katzenstein in der Redaktion des Kirchenboten.  1989 wird er Chefredaktor. Wieder nimmt er pointiert Stellung,  diesmal in den Kommentaren. Es ist  die Zeit, in der sich gesellschaftliche  Schranken aufweichen. In der Zeitung  diskutiert man über «Konkubinat und  Kirche». Er schreibt gegen die Holocaust-  Leugner an. Erboste Leserbriefe  gehen in der Redaktion ein. Doch  Katzenstein hält seinen Kurs, will Anstoss  und Anregung sein: «Eine pointierte  Meinungsäusserung darf nicht  bequem sein, sie muss bewegen, ohne  zu verletzen.»  Seit 2001 ist Ernst-Ulrich Katzenstein  pensioniert. Gemeinsam mit  seiner Frau lebt er im Kleinbasel. Das  Multireligiöse hat die Familie eingeholt.  Die fünf Kinder seien mit Juden,  Katholiken, Freikirchlern und Konfessionslosen  verheiratet, sagt Katzenstein  und schmunzelt. Der Pfarrer  schätzt diese Offenheit, auch im Bezug  auf die Kirche: «Die Kirche muss  den Raum bieten, in dem die Menschen  die Möglichkeit haben, Menschen  zu sein und zu werden», das war  sein Ziel. Es bleibt für ihn Hoffnung  und Überzeugung.

Tilmann Zuber, 9. März 2016

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