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Entwicklungshilfe

«Der Einschnitt ist dramatisch»

von Felix Reich/reformiert.info
min
19.03.2025
Heks-Direktorin Karolina Frischkopf warnt vor den Folgen des Rückzugs der USA aus der globalen Entwicklungszusammenarbeit. Die humanitäre Nothilfe drohe ihr Rückgrat zu verlieren.

Welche Konsequenzen hat der radikale Kurswechsel der Trump-Administration in der amerikanischen Entwicklungspolitik für Heks bisher gehabt?

Karolina Frischkopf: Für humanitäre Projekte in Äthiopien und in der Demokratischen Republik Kongo haben wir bereits einen Termination Letter erhalten, womit die Zusammenarbeit aufgekündigt wurde. Aus diesen Hilfsprojekten steigt Usaid per sofort aus. Auch ein Nothilfeprojekt in der Ukraine wird massgeblich durch Gelder aus den USA finanziert, da haben wir bisher aber noch nichts Definitives gehört.

Wie gross ist das Loch in der Kasse?

Wir gehen davon aus, dass die ausstehenden Rechnungen für Leistungen, die wir bereits im letzten Jahr erbracht haben, noch beglichen werden.

 

Seit März 2024 ist Karolina Frischkopf Direktorin des Hilfswerks der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (Heks). Sie studierte in Genf Internationale Beziehungen, Wirtschafts- und Politikwissenschaften. Als Diplomatin war sie danach in Mexiko, Genf, Peking und Bern tätig. 2019 wechselte Frischkopf zum Schweizerischen Roten Kreuz, dessen Leitung sie während turbulenter Zeiten vorübergehend übernahm.

 

Aber die Beiträge von Usaid im laufenden Budget fallen weg?

Ja. Insgesamt 7,5 Millionen Franken müssen wir durch andere Geldgeber decken oder einsparen. Wir müssen damit rechnen, dass die Zusammenarbeit in der Ukraine endet. Die Trump-Regierung hat drei Bedingungen festgelegt, die Projekte mit Blick auf die USA erfüllen müssen: making America safer, stronger, more presperous.

Kann Heks damit noch mit gutem Gewissen Usaid-Gelder beantragen?

Nein. Humanitäre Hilfe kann nicht das Ziel haben, einen einzelnen Staat stärker und mächtiger zu machen. Hinzu kommt ein anderes Problem: Bisher knüpfte Usaid seine Unterstützung immer an die Kriterien Diversity, Equity, Inclusion. Jetzt werden Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion plötzlich zu Ausschlusskriterien: Wenn nur schon der Begriff Diversity im Projektbeschrieb vorkommt, wird die Zusammenarbeit beendet. Für Heks bleiben diese Grundsätze fundamental. Wir leisten keine Hilfe für bestimmte Gruppen, unsere Hilfe kommt Menschen, unabhängig von Geschlecht, Ethnie oder Religion zugute.

 

Wenn Ihnen am Tag nach der Wahl von Donald Trump jemand gesagt hätte, dass die amerikanische Entwicklungspolitik in derart kurzer Zeit umgekrempelt würde: Hätten Sie ihm geglaubt?

Diese Eruption ist ein Schock. Ende Oktober nahm ich an einer Konferenz in Genf teil. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Usaid sagten damals, sie hätten ja bereits Erfahrung mit einer Amtszeit von Donald Trump. Richtungsänderungen und eine Verschiebung der Prioritäten seien üblich nach einem Regierungswechsel. Aber dass ein Präsident die Mission einer Institution überhaupt nicht mehr akzeptiert, Gelder einfriert und unzählige Mitarbeitende entlässt: All das war völlig undenkbar.

 

Milliardär schreddert Entwicklungshilfe

Am Tag seiner Amtseinsetzung verfügte der amerikanische Präsident Donald Trump einen Zahlungsstopp für Usaid. Während 90 Tagen sollte die weltweit grösste Organisation für Entwicklungszusammenarbeit kein Geld mehr ausgeben dürfen. Zudem kündigte Elon Musik an, «die Entwicklungshilfe zu schreddern». Zwar das Oberste Gericht inzwischen angeordnet, dass ausstehende Rechnungen beglichen werden müssen, zahlreiche laufende Hilfsprojekte wurden jedoch gekündigt. Betroffen sind auch zahlreiche Schweizer Hilfswerke.

 

Auch in der Schweiz wurden Kürzungen in der Entwicklungspolitik beschlossen.

Aber es passierte in einem transparenten, parlamentarischen Prozess. Das ist auch legitim. Die Strategie der Entwicklungszusammenarbeit und das Budget gilt es immer wieder politisch auszuhandeln. Die Einbettung der Entwicklungszusammenarbeit in demokratische Prozesse ist nicht in Frage gestellt, eine grundsätzliche Stabilität bleibt damit erhalten. In den USA hingegen wurde die weltgrösste Entwicklungsorganisation ohne parlamentarische Legitimität buchstäblich aus den Angeln gehoben.

Sind die langfristigen Folgen der neuen amerikanischen Politik schon absehbar?

Der Einschnitt ist dramatisch. Usaid war nicht nur ein bedeutender Geldgeber, die Behörde hat in der Entwicklungszusammenarbeit weltweite Qualitätsstandards gesetzt. Von Usaid zertifiziert zu werden, war eine anspruchsvolle Aufgabe, die auch Heks als Organisation die Chance bot, sich weiterzuentwickeln. Dass wir uns dieser Herausforderung immer wieder neu stellen mussten, fand ich sehr wichtig. Nun drohen Rückschritte. Ich fürchte, dass sie sehr lange nachwirken werden, denn durch die zahlreichen Entlassungen gehen auch grosses Fachwissen und viel Erfahrung verloren.

Haben Sie überhaupt noch direkte Ansprechpartner bei Usaid?

Teilweise sind unsere bisherigen Ansprechpersonen weg, zudem gibt es neue Kontaktleute. Wer in der derzeitigen Phase wofür zuständig ist, scheint auch innerhalb der Organisation nicht immer klar zu sein.

Die USA waren auch ein wichtiger Partner, wenn es um Sicherheitsfragen oder Pläne für mögliche Evakuierungen von Mitarbeitenden ging. Drohen auch hier negative Konsequenzen?

Ja. Die USA haben ja auch angekündigt, ihre Beiträge an die UNO massiv zu reduzieren. Amerikanische Gelder machen teilweise 40 bis 60 Prozent der Budgets von UNO-Organisationen aus, gerade auch solchen, die in humanitären Grundbedürfnissen tätig sind. Ziehen sich die USA zurück und müssen dadurch auch die Vereinten Nationen ihre Einsätze zurückfahren, fehlt das Rückgrat der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Nothilfe. Die UNO übernimmt in Krisengebieten Basisaufgaben: Logistik, Infrastruktur, Sicherheit, Koordination der ankommenden Hilfe. Fällt das alles weg, sind viele Hilfswerke nicht mehr in der Lage, tätig zu werden, gerade dort, wo es am nötigsten ist. Wenn sie sich zum Beispiel keinem geschützten Konvoi mehr anschliessen können oder selbst Flüge organisieren müssen, können Hilfswerke diese Risiken nicht mehr eingehen und ziehen sich aus den Krisengebieten zurück.

Wer kann die Lücke füllen, wenn die USA ihre Pläne konsequent umsetzen?

Niemand hat die Mittel, um die Ausfälle im vollen Umfang zu kompensieren. Wobei das mit den Mitteln immer relativ und eine Frage der Prioritätensetzung ist. Zurzeit liegt diese auch in Europa bei der Aufrüstung investiert als in die menschliche Sicherheit. Die grosse Frage ist, ob der politische Wille in den europäischen Staaten vorhanden ist, um in die Bresche zu springen. Auch die Wirtschaft könnte in der Finanzierung der humanitären Hilfe vermehrt eine Rolle spielen.

Besteht die Gefahr, dass Staaten wie Russland oder China ihre Chance wittern?

Das ist ja bereits passiert. Wobei Russland zurzeit wohl nicht über die nötige Finanzkraft verfügt. Aber China gewinnt insbesondere in Afrika vermehrt an Einfluss. In der internationalen Zusammenarbeit verfolgten Staaten schon immer auch ihre eigenen Interessen. Doch wenn die wichtigsten Geldgeber Grundsätze wie Demokratie, zivilgesellschaftliches Engagement und Meinungsfreiheit nicht mehr teilen, führt dies zu einer Erosion unserer Werte. Da hat die westliche Welt extrem viel zu verlieren. Auch die Schweiz, etwa wenn humanitäre Organisationen aus Genf abwandern, weil ihre Budgets gekürzt werden und für sie der Standort zu teuer wird. Staaten wie Singapur, Malaysia oder China sind durchaus bereit, mit finanziellen Anreizen Organisationen anzulocken.

Lässt sich die Trump-Administration durch diplomatische Interventionen bremsen?

Die Sprache des Powerplay ist das Einzige, was diese Administration wirklich versteht. Zwar ist die amerikanische Wirtschaft weniger stark auf Exporte angewiesen als viele europäische Länder, aber der geschlossene Widerstand aller Staaten, welche von der Trump-Regierung mit Zollschranken drangsaliert werden, würde die amerikanische Wirtschaft auch schmerzen. Doch ich beobachte ein Schockstarre. Der grosse Aufschrei ist bisher ausgeblieben.

Vielleicht weil die Entwicklungshilfe eine schwache Lobby hat?

Es geht um weit mehr als um Entwicklungszusammenarbeit. Insbesondere die Schweiz ist als kleines, vom Export abhängiges Land auf eine regelbasierte multilaterale Zusammenarbeit angewiesen. Es stehen auch die Errungenschaften des Freihandels auf dem Spiel, wenn grosse Länder mit Zöllen drohen, um ihre Interessen durchzusetzen.

Im Powerplay der Grossen hat die Schweiz keine Chance?

Nicht nur die Schweiz verliert. Viele Länder sind auf eine regelbasierte und auf Verhandlungen und Abkommen gründende Weltordnung angewiesen. Wenn sich diese Staaten zusammentun, um ihre Werte zu verteidigen, dann hat das in einer so globalisierten und voneinander abhängigen Welt wie heute durchaus einen Effekt auf grosse Staaten: Auch sie kommen nicht mehr alleine aus.

 

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