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Interview: Michael Meier, Journalist

Der Enttäuscher

von Vera Rüttimann
min
15.08.2024
Warum ist Franziskus kein Reformpapst? Wo ist er glaubwürdig und was ist nur Kosmetik? Und: Warum taugt er nicht als Friedensstifter? Der Journalist Michael Meier zieht in seinem viel diskutierten neuen Buch «Papst der Enttäuschungen. Warum Franziskus kein Reformer ist» eine nüchtern-realistische Bilanz.

Michael Meier, Ihr Buch über Papst Franziskus trägt den Titel «Papst der Enttäuschungen. Warum Franziskus kein Reformer ist». Warum?

Dieser Papst hat sehr viel Zeichen gesetzt und Aussagen getätigt, die auf Reformen schliessen lassen. Zum Beispiel sein berühmter Satz über einen Homosexuellen: «Wer bin ich, ihn zu verurteilen?» Auch beim Thema gemeinsames Abendmahl mit den Reformierten hat er keine Taten folgen lassen. Es blieb bei Zeichen und schönen Aussagen.

Beim Thema Frauen in der katholischen Kirche wird das ja ganz besonders augenscheinlich.

Genau. Oft wird gesagt: Niemand hätte so viele Frauen in der Kurie ernannt. Zudem haben Frauen Stimmrecht an den Bischofssynoden erhalten. Papst Franziskus bekundet immer wieder sein Wohlwollen gegenüber Frauen. Wenn man allerdings sein Lehrschreiben Quaerida Amazonia von 2020 liest, dann sagt er dort klipp und klar, dass Frauen nicht die Ämter und Dienste anstreben können, die die Weihe voraussetzen. Machtausübung stehe dem Mann zu, das Marianische, der dienende Aspekt, sei das spezifisch Weibliche. Deshalb ist es für mich eine Mogelpackung, wenn er Expertenkommissionen zum Frauendiakonat einberuft.

Machtausübung stehe dem Mann zu, das Marianische, der dienende Aspekt, sei das spezifisch Weibliche.

Viele verbanden mit seinem Amtsantritt die Hoffnung, dass sich nun in der katholischen Kirche etwas verändern wird. Warum ist da nichts geschehen? Liegt es am Papst oder am konservativen Umfeld im Vatikan? Will er nicht oder kann er nicht?

Das gängige Narrativ ist: Es liegt an seinem konservativen Umfeld. Ich denke: Es liegt am Papst selber. Er will nicht, er kann auch nicht. Bei ihm ist die rote Linie die traditionelle Lehre. Er schöpft einfach einen gewissen pastoralen Freiraum aus. Das Narrativ der «bösen Kurie» entlastet ihn. So kann er immer sagen: Ich möchte ja gerne, aber ich kann nicht.

Ist die Enttäuschung über vermeintlichen Reform-Papst Franziskus in der Schweiz besonders gross?

Besonders gross ist die Enttäuschung eher in Deutschland. Franziskus hat den deutschen Synodale Weg immer wieder zurückgepfiffen. Die Schweiz ist nicht mehr so avantgardistisch wie sie einmal war. Der Widerstand der Reformkräfte ist erlahmt. Der Klerus mit einem grossen Anteil von polnischen und afrikanischen Priestern ist nicht sehr aufmüpfig.

Wird er den Synodalen Prozess und andere Reformen unterstützen?

Den Synodalen Prozess hat er initiiert. Ich frage mich aber, was der Synodale Prozess noch hergibt. Franziskus hat ja heiklen Themen wie Frauendiakonat oder das Bischofsamt ausgelagert, damit man in Harmonie über Unwesentliches diskutiert. Ausser schöne Worte ist vom Synodalen Prozess nichts zu erwarten.

Papst Franziskus wollte eine Missbrauchs-Gerichtsinstanz für Bischöfe an der Kurie einrichten. Dazu kam es nicht. Wohl, weil er erkannte, dass er damit die Kirche schwächen würde.

Die Sexualmoral und die Missbrauchsfälle sind in der Kirche ein grosses Thema. Erwarten Sie da vom Papst mehr Engagement?

Er fehlt nicht am Engagement. Es mangelt eher an der Zielrichtung. Beispiel: Papst Franziskus wollte eine Missbrauchs-Gerichtsinstanz für Bischöfe an der Kurie einrichten. Dazu kam es nicht. Wohl, weil er erkannte, dass er damit die Kirche schwächen würde. Die Bischöfe sind ja die Einfallstelle für Vertuschung von Missbrauch ihrer Priester. Zudem geht Franziskus den systemischen Ursachen des Missbrauchs nicht nach. Besonders schlimm finde ich es, dass Franziskus dem neuen Glaubenspräfekten, Viktor Emanuele Fernandez, das Missbrauchsthema abgenommen und einem unbekannten irischen Priester übertragen hat. Somit ist sexueller Missbrauch nicht mehr Chefsache und nicht mehr in der Hand eines prominenten Würdenträgers.

 

Michael Meier (* 1955 in Zürich) ist ein Schweizer Journalist, Theologe und Fachjournalist für Religion, Kirche und Gesellschaft. Er schrieb jahrzehntelang für den Tagesanzeiger. Meier erhielt 2006 den Herbert-Haag-Preis für Freiheit und Menschlichkeit in der Kirche, weil er wach, unabhängig und kritisch über Religion und Kirche informiere. 2011 erhielt er den Zürcher Journalistenpreis für sein journalistisches Gesamtwerk.

 

Klar ist, dass dieser Papst die Menschen erreicht und mit seinen Auftritten Zeichen für die Solidarität mit den Ärmsten und Flüchtlingen setzt. Ist es die DNA seines Pontifikates?

Ja, das ist sicher die DNA seines Pontifikates. Die Option für die Armen ist auch ein evangelisches Anliegen. Gerade nach dem Pontifikat Benedikts, der mehr auf die Dogmatik geachtet hat, ist das ein Stilwandel, der nötig war und der gut ist. Es ist zu hoffen, dass dieses Anliegen auch sein Nachfolger übernehmen wird. Weil es aber nicht verbindlich ist, kann dieser dem mehr oder weniger Gewicht geben.

Franziskus zeigt sich vor allem als Seelsorger der Menschen. Bringt er damit die Perspektive seiner argentinischen Herkunft mit hinein?

Schon als Priester in Cordoba hat er sich als Seelsorger für die Armen gezeigt und hat sich von der Volksfrömmigkeit der Armen beeindrucken lassen.

Er ist kein Befreiungstheologe, der Kritik an den Mächtigen und deren Strukturen übt?

Er gilt eher als Volkstheologe. Die argentinische Volkstheologie ist nicht wie die Befreiungstheologie mit ihrer marxistischen Gesellschaftsanalyse auf die Emanzipation der Armen und die Reform der Strukturen ausgerichtet, sondern sie begeistert sich für die tiefe Frömmigkeit der Armen. Franziskus bekennt sich zwar zur Demokratie, aber er hat keine Scheu, mit Diktatoren oder deren Handlangern wie Patriarch Kyrill zu verhandeln. Autoritäre Systeme – die katholische Kirche ist selber eines – schrecken ihn nicht ab.

Europa hat einen Wertekanon wie Demokratie, Gleichstellung, Gewaltenteilung… Mit diesen Werten fremdelt Papst Franziskus offensichtlich.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Franziskus Sicht keine europäische sei. Im Gegenteil, Franziskus halte Europa für überholt und schwach. Woran erkennen sie das konkret?

2014 hat er vor dem Europarat Europa als eine «unfruchtbare Grossmutter» bezeichnet. In seiner soeben erschienen Autobiographie sagt er: «Europa ist dabei, die Seele zu verlieren.» Das sind fast die gleichen Worte, wie er sie mit Patriarch Kyrill 2016 gebraucht und mit dem Lob der religiösen Renaissance in Russland verbunden hat. Für Russland war das politisches und nationalistisches Kalkül. Europa als seelenlos zu bezeichnen, geht nicht an. Es hat einen Wertekanon wie Demokratie, Gleichstellung, Gewaltenteilung… Mit diesen Werten fremdelt Papst Franziskus offensichtlich. Ausgerechnet heute, wo Europas Demokratie gestärkt werden müsste. Deswegen verzeihe ich Franziskus solche Aussagen nicht. Ich finde sie schlicht dumm.

Stichwort nicht-westlicher Papst: Werden europäische Katholiken immer weniger interessant für den Vatikan? Und der Papst immer weniger interessant für uns?

Beides ist möglich. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch der nächste Papst auch aus dem Süden kommt und sich mehr an den BRICS-Staaten orientiert. Franziskus hat ja schon um einen Beobachterstatus dort nachgefragt. Wenn südlich heisst: Weniger Menschenrechte und Demokratie, dann schaue ich dieser Entwicklung mit Sorge entgegen.

Die Ökumene zwischen Katholiken und Reformierten befindet sich auch im Stillstand. Darf man da etwas mehr erwarten?

Die Erwartungen wurden betrogen und enttäuscht. 2015 hat er noch zu einer evangelischen Frau in Rom, die ihn fragte, wann sie mit ihrem katholischen Mann zur Kommunion gehen könne, gesagt: Folgen Sie ihrem Gewissen. Später haben die deutschen Bischöfe anlässlich des Reformationsjubiläum 2017 und beim Ökumenischen Kirchentag 2021 Eucharistische Gastfreundschaft und das gemeinsame Abendmahl eingefordert und wurden prompt von Rom zurückgepfiffen. Gerade Kardinal Kurt Koch, der als grösster Bedenkenträger im Vatikan gilt, hat da als Ökumene-Minister eine schlechte Rolle gespielt. Er ist der grosse Bremser in Sachen Ökumene.

In Europa hat die katholische Kirche Probleme. Die Anzahl der Mitglieder schwindet, die Basis fordert Reformen hinsichtlich der Priesterweihe von Frauen und der Anerkennung von Homosexuellen. Was hat das für Folgen?

Die Kirche bleibt nicht anschlussfähig an die moderne Gesellschaft. Die katholische Kirche entwickelt sich zu einer Parallelgesellschaft, vor der sich immer mehr offene und liberale Menschen abwenden.

 

Michael Meier, gerne würden wir mit Ihnen noch ein Fragespiel machen. Vervollständigen Sie doch folgende Sätze:

Papst Franziskus gefällt mir, weil er … sich den Mühseligen und Beladenen zuwendet.

Betagte Päpste sind besser als jüngere, weil … sie mehr Erfahrung und Durchblick haben.

Die katholische Kirche wird die Priesterweihe für Frauen einführen. Nur dauert dies … bis zum St. Nimmerleinstag. Im Diesseits wird das nie stattfinden.

Die katholische Kirche wird ihre Sexualmoral ändern, weil … das glaube ich nicht.

Die Einheit der christlichen Kirchen wird … es schwer haben. Die Einheit ist so weit weg wie schon lange nicht mehr seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil.

Der nächste Papst kommt aus … aus Asien oder Afrika.

Ein guter Grund in der katholischen Kirche Mitglied zu bleiben, ist … Keiner. Ich bin evangelisch-reformiert und bleibe es. Als Konvertit hat man keinen guten Status.

 

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