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«Der Film war auch ein soziales Projekt»

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04.10.2021
Der Genfer Regisseur Fred Baillif hat für seinen Film «La Mif» den Filmpreis der Zürcher Kirchen erhalten. Im Interview erzählt er, wie er es geschafft hat, dass seine Schauspielerinnen nicht schauspielern.

Herr Baillif, Sie haben den mit 10 000 Franken dotierten Filmpreis der Zürcher Kirchen gewonnen. Was bedeutet Ihnen Religion?
Ich komme ursprünglich aus einem atheistischen, ja sogar kommunistischen Umfeld. Religion hatte in meinem Leben keinen Platz. Doch während meiner Ausbildung zum Sozialarbeiter haben wir viel über die Verknüpfung von Sozialarbeit und Kirche gesprochen. Durch meine Frau, die eine Pfarrerstochter ist, habe ich später die Spiritualität entdeckt. Im Film gibt es eine Anspielung auf die Kirche.

Welche?
Das Erziehungsheim, in dem die Geschichte spielt, wurde ursprünglich von Schwestern gegründet. Das wird im Film explizit so gesagt.

In Ihrem Film geht es um Krisen und Konflikten von jungen Frauen, die aus zerrütteten Verhältnissen stammen und im Heim leben. Wie schwierig war es, ein Heim zu finden, das bei Ihrem Projekt mitgemacht hat?
Ich habe als Sozialarbeiter ein grosses Netzwerk und habe ein Heim in Genf angefragt, in dem ich selbst vor etwa 20 Jahren gearbeitet habe. Die Leiterin war schon pensioniert. Sie ist zurückgekommen und hat uns die Türen geöffnet.

Die Leiterin wie auch die sieben jungen Frauen spielen sich im Film selbst. Sie haben ihre eigenen Geschichten entwickelt und am Drehbuch mitgewirkt, sind aber keine Schauspielerinnen. Wie hat das funktioniert?
Sehr gut, wir waren selbst täglich überrascht, wie gut sie das gemeistert haben. Ich habe allerdings auch schon Erfahrung mit dieser Arbeitsweise, es ist bereits mein dritter Film dieser Art. Dabei gelten gewisse Regeln. Die wichtigste: Die Schauspielerinnen dürfen sich nie für Schauspielerinnen halten. Ich habe ständig wiederholt: Spielt nicht, bleibt Ihr selbst. Natürlich hat auch die Beziehung zu den Protagonistinnen eine Rolle gespielt.

Zwei Jahre lang haben Sie das Heim besucht, mit den jungen Frauen gesprochen, ihnen zugehört. Was wollten Sie mit Ihrem Film erreichen?
Es ging mir nicht nur ums Filmen, sondern auch darum, den jungen Menschen zu helfen. Der Film war für mich auch ein soziales Projekt. Ich wollte, dass die Frauen aus ihrem Alltag herausfinden, Selbstvertrauen gewinnen.

Die Geschichten, die Sie erzählen, sind schwere Kost. Zur Sprache kommen Missbrauch und sexuelle Ausbeutung. Was ist wahr an dem, was Sie erzählen?
Sexuelle Ausbeutung in der eigenen Familie ist im Film ein Thema, jedoch nicht das Hauptthema. Die eigentliche Geschichte ist die des Heims. Was dort passiert. Wie die Institution mit Regeln und Gesetzen umgeht, die nicht an die Bedürfnisse ihrer Bewohnerinnen angepasst sind. Doch die Geschichte ist Fiktion.

Inwiefern trifft das auch auf die einzelnen Porträts der Frauen zu, die als roter Faden durch den Film führen?
Auch die Geschichten, welche die jungen Frauen erzählen, sind erfunden, sie sind nicht ihre eigenen. Aber sie haben sie gespielt und ihre wahre Persönlichkeit darin gezeigt.

Was bräuchten die jungen Menschen Ihrer Meinung nach?
Sie müssten nicht nur beschützt, sondern auch geliebt werden. Doch die Erzieher und Erzieherinnen dürfen keine Liebe geben. Das ist in meinen Augen ein grosser Widerspruch, den ich auch während meiner Arbeit als Sozialarbeiter angetroffen habe. Und sie bräuchten jemanden, der ihnen wirklich zuhört.

Haben Sie den Kontakt zu den jungen Frauen behalten?
Ja, klar. Wir haben sie ans «Zurich Film Festival» mitgenommen und werden sie auch an andere Festivals mitnehmen. Zudem sind die Türen unseres Hauses immer offen für sie. Für meine Frau gehört das zur Kultur, sie ist Afrikanerin. Wir sind uns einig darin, dass wir die Mädchen unterstützen und ihnen Mut machen. Eine der Protagonistinnen ist jetzt als junges Talent für ein Festival in Belgien selektioniert worden.

Was war das Schwierigste an Ihrem Projekt?
Praktisch ohne Geld zu drehen und dafür zu sorgen, dass die Frauen auch auf dem Set erscheinen.

Letzteres war also nicht selbstverständlich.
Nein, denn sie haben am Anfang nicht an das Projekt geglaubt. Sie kannten es nicht, wussten auch nicht, wie ernst wir es damit meinen und haben es deshalb selbst nicht so ernst genommen. Unser Mitarbeiter, der sie jeweils suchen gehen musste, war ziemlich erledigt (lacht).

Nadja Ehrbar, reformiert.info

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