«Der Kampf ums Wasser wird immer verzweifelter»
Herr Zumach, wie sieht es aus mit der weltweiten Trinkwassersituation?
Leider sehr schlecht. Millionen von Menschen haben nur sehr beschränkten und keinen täglichen Zugang zu Trinkwasser und würdigen Sanitäranlagen. In den letzten Jahren ist es nicht besser geworden.
Das heisst die Situation hat sich verschlechtert?
Es kommt darauf an, was man zum Ausgangspunkt nimmt. Im Jahr 2012 hatten 884 Millionen Menschen keinen Zugang zu Trinkwasser, beziehungsweise die Frauen mussten stundenlang laufen, um Wasser zu holen. Gemäss den aktuellen Zahlen von Unesco sind es heute 844 Millionen Menschen. Das ist zwar eine Senkung um 40 Millionen in fünf Jahren. Gemessen am Ziel, bis ins Jahr 2030 allen Menschen der Welt Zugang zu sauberem Wasser zu verschaffen, ist das aber ein viel zu geringer Fortschritt. Kommt hinzu, dass dieser relative Fortschritt nur in einigen Ländern erreicht wurde, massgeblich in China, wo das Wirtschaftswachstum viele aus der Armut geführt hat.
Welche Länder sind besonders betroffen?
Der ganze afrikanische Kontinent. Innerhalb von Afrika vor allem das Horn von Afrika und die Subsahara. 25 Prozent aller Menschen sind dort ohne Trinkwasser. Die Situation verschlechtert sich wegen klimatischer Bedingungen, aber auch wegen des Streits um die Ressource Wasser entlang des Nils.
Sie sprechen es an: Die Ressource Wasser birgt ein grosses Konfliktpotential. Inwiefern?
Bedingt durch den Klimawandel und die globale Erwärmung werden immer mehr Grundwasserressourcen angezapft. Die vorhandenen Wasservorräte sind durch die Umweltverschmutzung immer weniger zugänglich. Insbesondere durch die ungeregelte Ausbeutung von Rohstoffen gelangen Giftstoffe in die Gewässer. Sie werden kontaminiert und sind auf Jahrzehnte nicht mehr geniessbar. Hinzu kommt die von Grosskonzernen wie Nestlé angetriebene Privatisierung von Trinkwasser, was den freien Zugang zu kostenlosem Trinkwasser verunmöglicht.
Welches sind die konkreten friedenspolitischen Folgen?
Es führt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den sich um die Wasservorräte streitenden Gruppen. Am Nil beispielsweise versuchen die Länder gegenseitig sich das Wasser abzugraben. Eine sehr bedrohliche Situation besteht zwischen Indien und China. Die beiden Länder machen sich die neun grössten Flüsse Asiens im Tibet-Hochgebirge gegenseitig streitig. Beide Länder bauen zusammen 140 gigantische Wasserkraftwerke, die sie zur Bewirtschaftung ihrer Landwirtschaft nutzen. China versucht ganze Flüsse zu seinen Gunsten umzuleiten. Wenn die beiden Streitmächte das Problem nicht kooperativ lösen, droht ein Krieg unter Einsatz von Atomwaffen. Ein anderer Konfliktherd besteht zwischen Israel und Palästina. Die begrenzte Ressource Wasser ist im Westjordanland sehr untergerecht verteilt. Israel nutzt wegen der Militärbesatzung den grössten Teil; die Palästinenser haben immer weniger zur Verfügung.
Das tönt alles sehr bedrohlich …
Ist es auch. Man kann zu Recht sagen: Wasser ist die wichtigste Ressource auf der Welt. Wer drei Tage nichts trinkt, stirbt. Durch den Verteilkampf drohen Gewaltkonflikte, die zu den grössten und gefährlichsten Kriegen führen können. Bei anderen Ressourcen gibt es Alternativen, beim Erdöl zum Beispiel erneuerbare Energien. Wenn es keine seltenen Metalle mehr gibt zur Herstellung von Smartphones, ist das zwar ärgerlich, aber nicht lebensbedrohlich. Gerade weil das Wasser so wichtig ist, wird immer verzweifelter und gewalttätiger darum gekämpft.
Was müsste politisch passieren, um die gefährliche Entwicklung aufzuhalten?
Erstens: Die Privatisierung der Wasserversorgung muss verhindert werden. Kommunales darf nicht unter Gewinnstreben von Aktionären in private Hände gelangen. In Zürich wurde das mit der letzten Abstimmung abgewendet. Weiter muss die Politik verhindern, dass grosse Konzerne Grundwasser bohren, um es in Flaschen zu füllen und teuer zu verkaufen. Zweitens: Der Wasserkonsum im Norden muss verringert werden. Mit einem Verbrauch von 30 Badewannen pro Kopf und Tag ist er überproportional gross. Neben dem direkten Verbrauch müssen wir auch den indirekten Wasserverbrauch einschränken: Etwa auf Kiwis verzichten, die aus Neuseeland eingeflogen werden. Drittens müssen wir entschlossener gegen die globale Erwärmung vorgehen. Wenn man die reale Politik ansieht, werden die Klimaziele bis 2050 nie und nimmer erreicht. Dabei wären Autos, die viel weniger Kohlendioxid ausstossen, längst herstellbar. Es ist eine Frage des politischen Willens. Und viertens, ganz wichtig: Länder wie Indien und China müssen miteinander ins Gespräch gebracht werden. Es braucht kooperative Lösungen für den Konflikt, der sich zunehmend verschärft.
Anhaltende Dürre ist auch bei uns ein Thema. Droht in Zukunft ein Wassermangel?
Die Schweiz ist mit ihren Gletschern und Seen unter allen 193 Mitgliedstaaten der Uno eines der privilegiertesten Länder. Ein Wassermangel war darum lange schwer vorstellbar. Allerdings realisieren immer mehr Menschen die Folgen der globalen Erwärmung. Mit dem Schmelzen der Gletscher wird dieses Wasser eines Tages nicht mehr im gleichen Ausmass zur Verfügung stehen. Eine reale Gefährdung des Grundwassers entsteht durch das Düngen der Felder und anderer Verschmutzungen. Der technische und finanzielle Aufwand für die Wasseraufbereitung und die Zurverfügungstellung des Trinkwassers wird auch hierzulande immer höher. Mit technischen Einrichtungen allein kann man dem Problem in Zukunft nicht begegnen, auch nicht in der Schweiz.
Sandra Hohendahl-Tesch, reformiert.info, 21. März 2019
«Der Kampf ums Wasser wird immer verzweifelter»