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Gedenkfeier für verstorbene Kinder

«Der Schmerz und die Narbe bleiben»

von Tilmann Zuber
min
27.12.2024
Ein Kind zu verlieren, ist mitunter das Schlimmste, was Eltern erleben können. In der Pauluskirche fanden Angehörige bei einer Gedenkfeier Raum für ihre Trauer. 

«Erinnert ihr euch, wie ihr euch auf das Kind gefreut habt? Erinnert ihr euch, als die Herztöne bei der Kontrolle nicht mehr zu hören waren? Erinnert ihr euch, als der Arzt sagte, euer Kind werde nicht leben?», fragt Christine Kaufmann die 60 Anwesenden. Sie alle sind gekommen, um in der Pauluskirche Olten ihrer Kinder zu gedenken. Sie starben während oder nach der Schwangerschaft.

Die meisten Besucher schweigen, Trauer zeichnet ihre Gesichter. Einige schluchzen, andere unterdrücken Tränen. Die Gedenkfeier sei wichtig, erklärte Christine Kaufmann im Vorfeld. Hier finde die Trauer Raum, hier könne man sich Zeit nehmen für Gefühle, Hilflosigkeit und Erinnerungen. Im Alltag müsse man oft funktionieren.

Zusammen mit der Oltner Pfarrerin Melanie Ludwig, der Spitalseelsorgerin Anne Barth und Yvonne Lacher von der Stiftung Pro Pallium gestaltet die leitende Hebamme des Spitals Olten die Gedenkfeier. Die Gedenkfeier findet zum vierten Mal statt. Anne Barth erzählt einleitend das Bilderbuch «Das Geschenk des Elefanten». Die Geschichte zeigt, wie Erinnerungen an geliebte Menschen ein Geschenk sind, das einem niemand nehmen kann, auch nicht der Tod.

Die Kinder beim Namen genannt

Als die vier Frauen die Besucher nach vorne bitten, wird es still und feierlich. Die Angehörigen stehen im Chorraum im Kreis und entzünden Kerzen am Osterlicht. Dann legen sie die Wattewolke mit dem Namen ihres Kindes und die Kerze vorsichtig auf das rote Tuch am Boden. Manche Eltern nennen dabei laut den Namen ihres verstorbenen Kindes. «Du bleibst immer unser Kind – jetzt bist du ein Kind der Sehnsucht», beendet Yvonne Lacher das Ritual.

Früher war der Tod eines Kindes in der Schwangerschaft auch im Spitalalltag ein Tabuthema. «Inzwischen hat sich das geändert», sagt Christine Kaufmann. Man lasse den Angehörigen Zeit, sich zu verabschieden, und zeige den Eltern, wie sie Abschied nehmen können. Die ersten Stunden seien entscheidend, bestätigt Anne Barth, da könne man Erinnerungen sammeln, etwa Fotos machen oder einen Fussabdruck nehmen. Spuren, die später in der Trauer helfen.

Grabfeld für Sternenkinder

Ludwig, Barth, Kaufmann, Lacher und die Pastoralraumleiterin Antonia Hasler initiierten auch das Grabfeld auf dem Friedhof Meisenhard in Olten. Seit letztem Sommer finden hier Sternenkinder ihre letzte Ruhe. «Wenn Kinder vor der 22. Schwangerschaftswoche sterben, sind sie nicht meldepflichtig», sagt Kaufmann. «Sie werden nicht ins Sterberegister eingetragen, sie existieren nicht und schweben im luftleeren Raum.»

Bei ihrer Arbeit im Krankenhaus hat die Hebamme gemerkt, wie sehr sich die Eltern einen Ort wünschen, an dem sie um ihr Kind trauern können. Auch für Ärzte und Pflegepersonal sei es wichtig, zu wissen, dass die verstorbenen Kinder an einen guten Ort kommen und nicht irgendwo verschwinden, ergänzt Anne Barth.

Melanie Ludwig hat in der Seelsorge erlebt, dass sich Mütter fragen, ob sie Mutter seien, wenn sie ein Kind zu früh verloren oder tot zur Welt gebracht hätten. «Ich antworte dann: «Du bist Mutter», sagt Ludwig. «Du hast es gespürt und im Bauch getragen. Es hat deine Stimme gehört. Es ist dir vertraut!» Wenn die früh verstorbenen Kinder einen Ort haben, an dem man um sie trauern kann, dann ist dies auch ein Zeichen der Würde und Wertschätzung des Lebens, das herangewachsen ist.

Mit ihrem Wunsch nach einem Grabfeld für Sternenkinder stiessen die fünf Frauen bei Stadträtin Marion Rauber auf offene Ohren. Im Sommer konnte das Grabfeld eingeweiht werden. Der Bildhauer Fritz Scheidegger schuf die Skulptur für das Grabfeld. Die Form erinnert an Engelsflügel, in deren Mitte sich ein herzförmiges Loch öffnet. Ein Symbol für die wachsende Beziehung zwischen Mutter und Kind, für das Leben und die Trauer um die Sternenkinder.

Kann man diesen Schicksalsschlag je vergessen? «Nein», sagt Pfarrerin Melanie Ludwig. Sie erlebt in der Seelsorge, dass die Eltern immer an ihr verstorbenes Kind denken. Sie integrieren dieses Schicksal bestensfalls in ihr Leben, aber der Schmerz und die Narbe bleiben. Die Eltern berichten auch, wie sehr dies oft ein Tabuthema sei, über das nicht geredet werde. Es stehe wie ein offenes Geheimnis im Raum. Umso wichtiger seien solche Gedenkfeiern, bei denen die Angehörigen über das Erlebte und ihren Schmerz sprechen dürfen.

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