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Der Streit um die Hagia Sophia

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06.07.2020
Das Oberste Verwaltungsgericht in der Türkei hat die Entscheidung hinausgezögert, ob aus der Hagia Sophia zukünftig wieder eine Moschee werden soll. Der Vorstoss des türkischen Präsidenten, das Museum in ein Gotteshaus umzuwandeln, kritisieren nicht nur Politiker und kirchliche Vertreter.

In einer der Öffentlichkeit zugänglichen Anhörung sollte am 2. Juli das Oberste Verwaltungsgericht in der Türkei darüber entscheiden, ob die Hagia Sophia wieder eine Moschee werden soll. Dies forderten der türkische Präsident und seine Regierungspartei. Doch nach nur 17-minütiger Anhörung kündigte der Staatsrat an, dass eine Entscheidung über den Status der ehemaligen Kirche erst in 15 Tagen folgen werde.

Eine Demütigung gegenüber den religiösen Minderheiten
«Die Umwandlung der Hagia Sophia von einem Museum zu einer Moschee bildet im Moment eine der schwierigsten Fragen im wieder eskalierenden griechisch-türkischen Konflikt», sagt Amalia van Gent, ehemalige Türkei-Korrespondentin der NZZ. Der türkisch-griechische Konflikt bezieht sich nicht nur auf die Flüchtlingsströme aus der Ägäis, sondern auch auf ein Abkommen zwischen der Türkei und Libyen: «Die Türkei macht ihren Anspruch auf die Erdöl und Erdgasvorkommen im gesamten östlichen Mittelmeer geltend und ignoriert demonstrativ, dass dabei die Rechte der Anrainerstaaten Griechenland, Zypern,  Ägypten und Israel verletzt werden.» Die EU wie auch die betroffenen Anrainerstaaten anerkennen das türkisch-libysche Abkommen nicht an.

Für Amalia van Gent ist der Streit deshalb so brisant, weil Erdogan und seine Regierung in der Umwandlung «in erster Linie den Sieg des Islams über das Christentum» sehen und unterstreichen. Bezeichnend sei etwa die Aussage des türkischen Vizepräsidenten Fuat Oktay: «Wir haben die Hagia Sophia erobert und können mit ihr tun und lassen, was wir auch wollen». Für Amalia van Gent kommt das Vorhaben einer Demütigung gegenüber den religiösen Minderheiten im Land gleich.

Kirchenführer warnen vor Spaltung
Die Hagia Sophia gilt in der orthodoxen Welt als das Symbol für ihre byzantinische Vergangenheit. Das Vorhaben des türkischen Präsidenten wurde deshalb auch von religiösen Führern scharf kritisiert: Die Heilige Synode der orthodoxen Kirche Griechenlands forderte die türkischen Behörden zu einem respektvollen Umgang mit dem Unesco-Welterbe auf. Das oberste Gremium der orthodoxen Kirche Griechenlands nannte die Hagia Sophia ein architektonisches Meisterwerk und ein «ausserordentliches Beispiel christlicher Kultur». Der Wert des Bauwerks sei «universal», so die Erklärung des Heiligen Synods. Erdogans Vorhaben wurde ferner auch von der russischen Kirche kritisiert.

In die Debatte um die Nutzung der Hagia Sophia mischte sich auch der orthodoxe Ökumenische Patriarch von Konstantinopel Bartholomaios I. ein und sprach sich öffentlich gegen eine Umwandlung aus. Die Hagia Sophia sei eines der bedeutendsten Baudenkmäler der menschlichen Zivilisation und gehöre «der gesamten Menschheit», sagte der Patriarch während einem Gottesdienst in der Apostelkirche im Istanbuler Stadtteil Feriköy.  Die Hagia Sophia als Museum könne als «Ort und Symbol von Begegnung, Dialog und friedlichem Zusammenleben der Völker und Kulturen, des gegenseitigen Verständnisses und der Solidarität zwischen Christentum und Islam» fungieren, sagte Bartholomaios. Ihre Umwandlung würde «uns hingegen spalten, anstatt uns zusammenzubringen».

Wissenschaftler fürchten Schaden der Kunstwerke
Während der armenisch-orthodoxe Patriarch von Konstantinopel auf Twitter dafür appellierte, die einstige Kirche und spätere Moschee als ein Gotteshaus für Muslime und Christen zu nutzen, haben rund 200 internationale Wissenschaftler der byzantinischen und osmanischen Kunst und Kultur einen offenen Brief verfasst. Darin äussern sie ihre Sorge, dass im Streit um den Status historische und archäologische Beweise beschädigt und Kunstwerke verborgen werden könnten. «Die Hagia Sophia ist ein zu schönes Denkmal und ein zu kostbares historisches Dokument, um als Spielball in der Regionalpolitik zu dienen», schreiben die Wissenschaftler.

Nicola Mohler, reformiert.info

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