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Letzte-Hilfe-Kurse

«Der Tod ist unser biologisches Ziel»

von Carole Bolliger
min
24.10.2024
Jörg Leutwyler, Spitalseelsorger und Leiter von Letzte-Hilfe-Kursen, über den Umgang mit Sterben, die Bedeutung von Humor und warum er keine Angst vor dem Tod hat.

Jörg Leutwyler, was ein Erste-Hilfe-Kurs ist, dürfte wohl jeder wissen. Sie bieten Letzte-Hilfe-Kurse an. Was genau lernt man da?

In diesen Kursen lernt man, wie man mit dem Tod von Angehörigen umgehen kann und auch, wie man sich mit dem eigenen Tod auseinandersetzt. Früher war der Tod als Teil des Lebens allgegenwärtig. Ich erinnere mich, wie mein Grossvater zu Hause aufgebahrt wurde. Heute gibt es sowas nicht mehr, man spricht kaum noch über den Tod.

Warum hat sich das so verändert?

Unsere Gesellschaft hat sich dahingehend entwickelt, dass Menschen nicht mehr scheitern wollen und können. Sterben wird als Scheitern angesehen, als Scheitern der Medizin, der Effizienz. Das Leben ist ein permanentes Müssen. Da passt der Tod nicht mehr rein.

Die reformierte Kirche Kanton Luzern bietet diesen Kurs kostenlos seit 2023 an. Die Nachfrage ist sehr gross. Wieso?

Menschen fühlen sich hilflos, wenn sie eine nahestehende Person beim Sterben begleiten müssen. Sie haben keine Erfahrung damit, weil man heute nicht mehr lernt, wie man mit dem Tod und den Toten umgeht. Wenn man es nicht in der Familie gelernt hat, muss man es woanders lernen, eben in unserem Kurs zum Beispiel.

Was motiviert Sie persönlich, diese Kurse zu leiten?

Es gehört zu meinem Beruf und meiner Berufung als Spitalseelsorger, Menschen in schwierigen Situationen zu begleiten.

Im Kurs behandeln Sie die Frage: Was passiert beim Sterben? Wissen Sie das denn?

Ja. Ich habe schon über 500 Sterbende gesehen und begleitet. Es gibt einen somatischen Prozess, der bei allen Sterbenden gleich abläuft, mit Ausnahme von Unfällen oder Mord.

Am Kurs nehmen Menschen teil, die bereits jemanden verloren haben oder zurzeit eine sterbende Person begleiten. Welche Themen beschäftigen die Teilnehmenden am meisten?

Interessanterweise kommen streng religiöse Themen, wie kommt man in den Himmel oder die Hölle, fast nie zur Sprache. Häufige Fragen sind: Hat der Sterbende gelitten? Wie mache ich ohne ihn oder sie weiter? Hätte ich etwas anders oder besser machen können? Wir sind kein Trauerbegleitungskurs, aber zu verstehen, was passiert ist oder was mit dem geliebten Menschen noch passieren wird, hilft den Angehörigen sehr.

Das Thema Tod ist für viele Menschen beängstigend. Gibt es spezielle Techniken oder Ansätze, die Sie im Kurs verwenden, um das Thema Sterben zugänglicher und weniger beängstigend zu machen?

Mit Humor. Die Menschen haben mehr Angst vor dem Sterbeprozess als vor dem Tod selbst. Gegen den Tod hilft Humor, gegen die Angst vorm Sterben hilft Wissen. Beides vermitteln wir in unserem Kurs.

Das Sterben ist eine sehr persönliche und individuelle Erfahrung. Kann ein standardisierter Kurs wirklich darauf vorbereiten?

Da muss ich widersprechen. Somatisch betrachtet ist Sterben gar kein so persönlicher und individueller Prozess. Wir Menschen sind alle gleich und sterben gleich. Existenziell betrachtet ist es etwas anders. Der Kurs ist nicht prinzipiell existenziell orientiert, er ist informativ und erklärt die somatischen Prozesse des Sterbens, die uns allen gemeinsam sind. 

Als Spitalseelsorger werden Sie täglich mit dem Tod konfrontiert. Fürchten Sie sich davor?

Nein, ich habe überhaupt keine Angst. Was ich nicht mag, sind Standardaussagen wie «Der Tod gehört zum Leben». Das stimmt nicht. Unser Leben ist begrenzt und endet mit dem Tod. Der Tod gehört nicht zum Leben. Er ist unser biologisches Ziel.

Sie haben Ihre demenzkranke Schwiegermutter zusammen mit Ihrer Frau zwei Jahre lang in den Tod begleitet. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Das hat mich eine andere Dimension erleben lassen. Meine Frau ist ganz fein und konnte ihre Mutter nicht heben oder tragen. Deshalb habe ich das übernommen, was mich mit meiner Schwiegermutter stärker verbunden hat. Ich war nicht nur Jörg, ich war warmes, angenehmes Wasser, ich war Duft, ich war Essen, ich war Wärme, ich war die Kühle, wenn es ihr im Sommer zu warm war. Diese Erfahrung hat mich gelehrt, wie wichtig die körperliche Auseinandersetzung ist: Der sterbende Körper strebt nach achtsamer, liebevoller Berührung.

Welche Empfehlungen haben Sie für Menschen, die sich auf den Tod eines geliebten Menschen oder ihren eigenen vorbereiten möchten?

Es gibt zwei wichtige Punkte: Erstens sollte man sich mit der Frage beschäftigen, was nach dem Tod kommt, und dazu eine klare Haltung entwickeln; egal welche, aber eine zu haben, ist wichtig. Zweitens ist es sehr wichtig, sich juristisch gut zu rüsten und alles gut vorzubereiten. Auf dieser soliden Grundlage kann man seinen Gefühlen ihren Lauf lassen und ein Leben in Abwesenheit der geliebten Person neu erlernen. 

Was ist Ihr wichtigster Rat an die Kursteilnehmenden?

Es ist sehr wichtig, sich von dem Sterbenden zu verabschieden, wenn die Möglichkeit besteht. Ohne Abschied ist der Trauerprozess noch schwerer als sonst schon, manchmal sogar unmöglich.

 

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Die nächsten Kursdaten mit Anmeldeformular finden Sie hier: reflu.ch/letztehilfe

Die Reformierte Kirche Kanton Luzern bietet während des ganzen Jahres in unterschiedlichen Regionen und auch digital via Zoom Kurse an.

Jörg Leutwyler leitet als Kantonsverantwortlicher Luzern für Letzte-Hilfe-Kurse Schweiz das Team, welche die Kurse immer im Tandem anbietet. Im Team sind mit dabei: Urs Borer, Yvette Estermann, Yvonne Lehmann, Alessia Moser, Petra Müller und Conny Zurfluh.

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