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Der Volkskirchler

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24.11.2016
Zehn Jahre war Ulrich Wilhelm Mitglied des Synodalrats der Reformierten Kirche Kanton Solothurn. Vor Kurzem trat er zurück. Der Pfarrer glaubt an die Volkskirche, die mit den Menschen lebt, selbst wenn diese am Sonntag nicht zur Predigt kommen.

Der 62-Jährige steht zwischen seinem Klavier und den Clavichorden und erläutert die einzelnen Instrumente. Liebevoll streicht er über die Tasten, bevor er ansetzt und eine Fuge von Bach spielt. Die Musik, das Klavier und die Orgel sind die Leidenschaft von Ulrich Wilhelm. Der Schönenwerder Pfarrer hat das Orgeldiplom abgelegt und bei Privatlehrern studiert. Oft setzt er sich in einem Gottesdienst an die Orgel und spielt für die Gemeinde. «Ich brauche mein tägliches Musizieren». «Für mich ist das Meditation.» Wenn er Stress hat, von einem Termin zum anderen hetzt, dann spielt er Bachs Fugen. «Dann erhält alles seine klare Ordnung», sagt er. «Wenn ich drei Tage nicht spielen kann, werde ich kippelig.»

Wie rasch es mit der Musik aus sein kann, musste Wilhelm vor Kurzem erfahren. Nach einer Bandscheiben-Operation waren seine linke Hand und die Finger gelähmt. Der Arzt in Olten machte ihm wenig Hoffnung. «Ich konnte nicht mehr musizieren. Das war für mich eine Katastrophe», erzählt er. Der Pfarrer musste abermals unters Skalpell. Nach zahlreichen Therapien und einer Auszeit kann er inzwischen wieder seine Finger bewegen.

Synodalrat, Kirchenbund und Gesangbuchkommission
Während der Zeit im Spital merkte Ulrich Wilhelm, dass er kürzertreten muss. «Wenn ich nach einer Woche die Post abholte, brauchte ich einen Wäschekorb.» Zum Pfarramt kamen die Aufgaben im Synodalrat und all die Ämter, die er inzwischen übernommen hatte. «Es war einfach zu viel. Es kam mir vor, als renne ich ständig einem Zug hinterher und kann nicht einsteigen.» Ulrich Wilhelm handelte und trat vor Kurzem aus dem Synodalrat der Reformierten Kirche Kanton Solothurn zurück.

Dass er dieses Amt aufgeben musste, tut ihm leid. Er habe eine gute Zeit gehabt und Einblick in die verschiedensten kirchlichen Gremien und Kommissionen gewonnen. Als Delegierter sass er in der Abgeordnetenversammlung des Kirchenbundes und in der Schweizerischen Liturgie- und Gesangbuchkommission. Zuletzt konnte er die Revision der Kirchenordnung abschliessen. Die Arbeit der Kommission dauerte zehn Jahre. Wilhelm glaubt an die Zukunft der Volkskirche. Der Gesinnungskirche, in der nur Bekehrte zusammensitzen, traut er nicht. «Der Zweifel gehört zum Glauben und zur Existenz.» Wenn die Gemeinde nur noch aus Bekehrten bestehe, schliesse man die Mehrheit aus, bei denen der Glaube nicht an erster Stelle steht und die nicht jeden Sonntagmorgen in der Kirche sitzen. «Das entspricht nicht den Vorstellungen des Alten Testamentes und der Zeit Jesu», sagt Ulrich Wilhelm. «Damals war Religion in den Lebenslauf eingebettet. Man besuchte den Tempel nur an hohen Festen.»

Auch in Luthers Kirche sassen manchmal nur 14 Leute
Und Wilhelm weiter: «Der Kirchenbesuch war in der Vergangenheit Zwang. Früher, in der Barockzeit, besuchten die Leute am Sonntag die Gotteshäuser, da hier das gesellschaftliche Leben stattfand. Auf der Kanzel verlas die Obrigkeit ihre Weisungen und Gesetze, draussen fand der Jahrmarkt statt.» Das Geklöne über die leeren Kirchen mag der Deutsche nicht mehr hören. Oft seien die Kirchen nicht leer. «Auch Martin Luther zählte in seiner Kirche in Wittenberg manchmal nicht mehr als 14 Leute, und doch erschütterten seine Schriften Europa.» Wie sehr die Menschen die Kirchen brauchen, erlebte der Schönenwerder Pfarrer bei einem schweren Unfall der Feuerwehr und bei Verkehrsunfällen. Ulrich Wilhelm war froh, dass er damals zusammen mit den Behörden, der Feuerwehr und der Polizei die Trauerfeier durchführen und die Angehörigen auf ihrem schweren Gang begleiten konnte. «Das waren unendlich schwierige und tiefe Momente», sagt Ulrich Wilhelm. Das Telefon klingelte pausenlos, «wie Blutsauger hätten die Journalisten die Familien bedrängt, standen vor der Kirche und im Pfarrgarten und lauerten nach Bildern».

Es braucht eine verständliche Kirchensprache
Wilhelm ist mit Leib und Seele Gemeindepfarrer. Er plädiert dafür, dass die Kirche für die seelsorgerliche Grundversorgung weiterhin aufkommt. Sie muss die Menschen begleiten, auch ausserhalb des Gottesdienstes. «Religion muss sich inkulturieren», fordert er. Die Kirche müsse mit den Menschen leben und ihre Sprache reden. Leider kämen die Predigten und Verlautbarungen oftmals in einem «Kirchensprech» daher, den die wenigsten verstehen und der den Bezug zur Realität verloren habe, sagt der Pfarrer selbst- kritisch. Auf was er besonders stolz sei? Wilhelm zögert einen Augenblick und lächelt verschmitzt: «Dass es mir gelungen ist, in das Kirchengesangbuch das Bruderklaus- und das appenzellische Landsgemeindelied einzuschmuggeln.» Da spricht der Deutsche, der in der Schweiz heimisch wurde, der Gemeindepfarrer, der mit den Leuten lebt, und der Pianist, der weiss, wie Musik die Seele nährt.

24.11.16: Tilmann Zuber

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