Die Benediktiner, der Wein, die Täufer und das schönste Dorf
Die schmucke, weiss verputzte Landkirche mit der hölzernen Eingangslaube prägt das Ortsbild. Um das Gotteshaus herum gruppieren sich das historische Pfarrhaus, das Kirchgemeindehaus, der «Löwen» und behäbige Bauernhäuser, etliche mit gepflegtem Bauerngarten, wie sie immer seltener anzutreffen sind. Eingebettet ist das kleine Emmentaler Dorf Trub in eine harmonische Hügellandschaft, die keine optische Störung aufweist, keinen Windgenerator, kein Ausflugslokal, keinen Aussichtsturm, keine Betonverbauung – einfach Tannenwald, Weideland und einzelne Bauernhöfe.
Eine ländliche Oase also, wie sie das Herz in einer immer hektischer und urbaner werdenden Welt begehrt, als Hort von Entschleunigung, Bodenständigkeit und Tradition. So kommt es denn auch nicht von ungefähr, dass Trub derzeit offiziell als das schönste Dorf der Schweiz gilt – laut Ergebnis einer Wahl, die drei Magazine, darunter die «Schweizer Illustrierte», unlängst durchgeführt haben.
Der Nachhall des Klosters
Trub kann aber nicht nur mit Bodenständigkeit punkten – die sich auch im Volkslied «Der Truberbub» ausdrückt – sondern ebenso mit einer regional bedeutenden Vergangenheit, die viel mit Kirche und Religion zu tun hat. Das ehemalige Kloster Trub war im Mittelalter ein wichtiges Zentrum und besass grosse Ländereien. Im Zuge der Berner Reformation von 1528 wurde es vier Jahre später zwar aufgehoben, doch ein leiser Nachhall ist nach wie vor präsent. Das Kirchengebäude stammt noch aus Klosterzeiten, und das benachbarte Kirchgemeindehaus ist weithin sichtbar mit «Kloster» angeschrieben. Auf die alten Klosterzeiten spielt auch der Mönch an, der 1926 an die Kirchenfassade bei der Sonnenuhr aufgemalt wurde.
Wie lebt und arbeitet es sich als Gemeindepfarrer in diesem besonders schönen und besonders geistlichen Dorf? Felix Scherrer lacht. Die Erinnerung an das Kloster spiele heute im weltlichen und kirchlichen Alltag kaum mehr eine Rolle, sagt er. Ausser vielleicht im Zusammenhang mit dem Truberwein aus der Kellerei Pourtalès im neuenburgischen Cressier, dem ehemaligen Weingut der Truber Benediktiner. Immer am letzten Februar-Montag wird der Wein versteigert; bei diesem Anlass ist jeweils auch eine Behördendelegation aus dem Emmentaler Dorf vor Ort. Denn schliesslich will man wichtigen Gästen in Trub «Trueberwy» einschenken, in Erinnerung an die feudalen Klosterzeiten.
Auf der Suche nach den Wurzeln
Im kirchengeschichtlichen Kontext präsenter als das ehemalige Kloster sind in Trub aber die Täufer. Wie vielerorts im Emmental wandten sich einst auch in Trub viele Familien dem radikalen Flügel der Reformation zu und verweigerten Kriegsdienst und Kindertaufe, wofür sie von der Obrigkeit verfolgt und hart bestraft wurden. Noch heute befindet sich in einem Truber Bauernhaus ein vielbesuchtes Täuferversteck aus dieser Zeit, und ein Themenweg führt Interessierte in die Welt dieser Glaubensgemeinschaft ein. Einmal besuchten Amische – Täufer aus dem USA – einen Gottesdienst von Felix Scherrer, woran er sich gerne erinnert: «Wir sangen uns gegenseitig Lieder vor, das war schon ein besonderes Erlebnis.»
Alles in allem pilgern auswärtige Täufer auf der Suche nach ihren Truber Wurzeln eher diskret durch das Dorf, Kontakte zum Pfarrer sind selten. Anders die Nachfahren von Auswanderern ohne Täuferhintergrund: Diese fragen schon mal beim Pfarrer an, wenn sie Näheres über ihre Altvorderen wissen wollen. Dass es im Ausland erstaunlich viele Trubstämmige gibt, hat einen bestimmten Grund. Laut traditionellem Berner Erbrecht gehe der Bauernhof jeweils ungeteilt an den jüngsten Sohn über, erklärt Felix Scherrer. Das hatte in den kinderreichen alten Zeiten zur Folge, dass die vielen leer ausgehenden Bauernsöhne anderswo ihr Glück und Auskommen suchen mussten, oft im Ausland.
Gästebuch und Schutzengel
Übrigens: Das Nominierungsprozedere für den Titel «schönstes Dorf der Schweiz» habe er lange nur so nebenbei wahrgenommen, berichtet Scherrer. «Als es dann aber auf die Wahl zuging, ist bei uns im Dorf eine erwartungsvolle Stimmung aufgekommen, und als das Resultat feststand, war die Freude natürlich gross.» Gross war in den nachfolgenden Tagen und Wochen auch der Zustrom an Fremden aus der ganzen Schweiz, die das «schönste Dorf» kennenlernen wollten. Für sie legte Felix Scherrer in der Kirche ein Gästebuch bereit, und die Sigristin stellte einen Korb mit selbstgefertigten kleinen Schutzengeln aus Wachs auf, aus dem man sich gratis bedienen durfte – ein spirituelles Andenken an das ehemalige Klosterdorf.
Hans Herrmann, reformiert.info, 24. September 2019
Die Benediktiner, der Wein, die Täufer und das schönste Dorf