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Pfarrer im Ausland

«Die Demokratie in den USA kämpft ums Überleben»

von Cornelia Krause / reformiert.info
min
25.09.2023
Pfarrer Thomas Dummermuth ist in die USA ausgewandert. Im Interview spricht er über evangelikale Kräfte, die Spaltung der Gesellschaft und wie Pfarrpersonen kitten wollen.

Herr Dummermuth, Sie leben seit Jahren in den USA und arbeiten als Pfarrer einer presbyterianischen Gemeinde. Welche Bedeutung hat die presbyterianische Kirche in dem Land?

Wir sind eine der angestammten Denominationen, der «old mainline churches». Aber unsere Bedeutung hat stark abgenommen, mittlerweile haben wir noch etwa 1,1 Millionen Mitglieder im Land, die Tendenz schrumpfend. In unserer Gemeinde gab es beispielsweise 2017 eine grössere Austrittswelle, nachdem sich meine Denomination dazu durchgerungen hatte, die «Ehe für alle» zu akzeptieren. Das war ein Vorläufer des Kulturkampfes, wie wir ihn jetzt sehen.   

Gestritten wird über Abtreibung, die Rechte von LGBTQ-Menschen, Bücher in Bibliotheken. Wie wirkt sich dieser Kulturkampf auf die Glaubenslandschaft aus? 

Insgesamt gibt es auch in den USA Säkularisierungstendenzen. Die Zahl der Gläubigen nimmt ab. Aber ansonsten sehe ich eine Neuorganisierung. Die einst grossen traditionellen Denominationen verlieren Mitglieder, viele Menschen schliessen sich jetzt Megachurches und anderen grossen, unabhängigen Organisationen und Kirchen an. Manche der Gemeindemitglieder, die uns wegen der «Ehe für alle» verliessen, fanden eine neue Heimat, etwa bei den Methodisten. Aber die müssen sich nun auch mit dem Thema befassen, sie sind nur später dran mit der Diskussion.   

Heisst das, die traditionellen Kirchen müssten sich konservativer positionieren, um weniger Mitglieder zu verlieren? 

Das war lange Zeit die vorherrschende These: die liberaleren Kirchen schrumpfen, während konservativ-evangelikal geprägte Gemeinden wachsen. Das stimmt so nicht mehr, mittlerweile stagnieren oder schrumpfen auch grosse evangelikale Kirchen wie die Southern Baptists. Gleichzeitig beobachte ich einen paradoxen Dominoeffekt: Weil in der öffentlichen Wahrnehmung Kirchen vor allem als konservative Grössen wahrgenommen werden, gehen immer mehr nicht-evangelikale Menschen auf Distanz zu Kirche oder identifizieren sich gar nicht mehr als Christinnen oder Christen.

 

Ausgewandert in die USA

Thomas Dummermuth ist im Emmental aufgewachsen und hat in Bern, Freiburg und in Richmond im US-Bundesstaat Virginia Theologie studiert. Nach dem Studium war er reformierter Pfarrer im freiburgischen Cordast und Pfarrverweser in Büren a.A. Seit 2011 lebt er in den USA, zunächst im Bundesstaat West Virginia, seit 2013 in Nebraska. Heute arbeitet er als Pfarrer in der Eastridge Presbyterian Church in Lincoln. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

 

Welche Rolle spielt der christliche Nationalismus?

Er hat einen grossen Einfluss über gewisse Teile der amerikanischen Christenheit, insbesondere weisse Evangelikale. Aber es gibt auch Menschen, die sich deutlich davon distanzieren. Es geht im Wesentlichen um die Frage, ob man Donald Trump unterstützt oder nicht. Ich erlebe die Gesellschaft als stark polarisiert. 

Wie äussert sich das im Zusammenleben der Menschen?

Es führt zu einem Auseinanderdriften, dass Nachbarn teils nichts mehr miteinander zu tun haben wollen. Man lebt in seiner eigenen Blase, umgibt sich nur noch mit Menschen, die die gleiche Meinung vertreten, wie man selbst. Häufig laufen die Gräben entlang der Parteilinien. 

Sie leben in Nebraska, einem Bundesstaat, der von einem republikanischen Gouverneur geführt wird, der gegen Abtreibung lobbyiert. Auch werden aus Schulbibliotheken vermehrt Bücher entfernt, angeblich, um die Kinder zu schützen. Spüren Sie Freiheitseinschränkungen im Alltag?

Ich spüre das politische Klima, im Alltag merke ich persönlich das weniger. Nebraska ist zwar republikanisch regiert, aber meine Stadt, Lincoln, ist eine stark demokratisch geprägte Universitätsstadt. Jüngst wurde dann aber doch ein Fall an mich herangetragen: Jedes Jahr nehmen verschiedene Schulen gemeinsam ein Musikstück auf. In diesem Jahr sollte es ein Stück sein, das auf dem Text eines schwarzen Dichters des 19. Jahrhunderts basierte. Weil aber der Text die Geschichte der Sklaverei explizit anprangerte, befürchteten die Schulen Widerstand seitens konservativer Kräfte und wählten ein anderes Stück. Auch waren dieses Jahr mehrere Geschäfte vorsichtig, nahmen Regenbogenartikel für die «Pride Parade» aus dem Sortiment, weil Mitarbeiter von konservativen Aktivisten bedroht worden waren.

Wie kommt es, dass Menschen, die mit ihren Meinungen eigentlich in der Minderheit sind, derart grosse Wirkung entfalten können in der Gesellschaft?

Teilweise liegt es an Zuständigkeiten. Sie sprachen die Bücherverbote in Bibliotheken an. Die Schulen sind auf Gemeindeebene organisiert. Elternverbände haben oft noch eine Funktion als Schulaufsicht. Und da lassen sich dann Menschen reinwählen, die sehr starke Meinungen haben und sich dem Kulturkampf aussetzen wollen, ihn gezielt suchen. Die beispielsweise der Meinung sind, Bücher über Geschlechtsidentität haben in Kinderhänden nichts zu suchen. Dann gibt es Instanzen, wie den Obersten Gerichtshof, der sehr konservativ besetzt ist, und das Land prägen kann, weit über absehbare Zeit hinaus. Sorgen um die Demokratie in den USA sind deswegen durchaus berechtigt, sie kämpft derzeit ums Überleben. 

Ich sehne mich schon nach einem politischen Diskurs, der so langweilig verläuft wie in der Schweiz.

Sie kommen aus einem Land, in dem politische Diskurse völlig anders verlaufen. Verändert die derzeitige Situation Ihr Verhältnis zu ihrer Wahlheimat?

Ich sehne mich schon nach einem politischen Diskurs, der so langweilig verläuft wie in der Schweiz. Dass ich in den USA lebe, hat mit meiner Familie zu tun, ich bin mit einer Amerikanerin verheiratet. Und natürlich bin ich in der privilegierten Situation, im schlimmsten Fall eine Alternative zu haben. Es ist klar: In den USA wird der politische Diskurs mit mehr Feuer und Galle ausgetragen, als anderswo. Gleichwohl ist die Lage weltpolitisch unsicher und auch in Europa sind vermehrt extreme demokratiefeindliche Kräfte am Werk, wenn ich etwa an die AFD in Deutschland denke.

Welche Rolle spielen die gesellschaftlichen Gräben in ihrem Gemeindealltag?

In meiner Gemeinde gibt es Raum für verschiedene politische Meinungen und dass ich als Pfarrer ich selbst sein kann, ist ihr wichtig. Aber es wird schwieriger. Im Frühling trat etwa eine einflussreiche Familie aus. Sie wollten nicht sagen warum, aber ich hatte den Eindruck, es hing damit zusammen, dass ich in der Frage der Rechte von Transpersonen und mit Blick auf Abtreibung Stellung bezogen habe. 

Inwiefern?

In Nebraska gab es Vorstösse, Abtreibungen stark einzuschränken . Ein erster Versuch der Republikaner, das politisch durchzubringen, scheiterte. Zusätzlich gab es Bemühungen, den Zugang von transsexuellen Jugendlichen zu medizinischer Betreuung einzuschränken. Um auch die Abtreibungsfrage durchzuboxen, wurden beide Themen beim zweiten Anlauf zusammengenommen, in der Hoffnung, die notwendige Mehrheit zu bekommen. Gegen dieses Vorgehen habe ich mit anderen Menschen protestiert, samt Stola und geistlichem Kragen. Ich wollte die religiöse Stimme nicht mehr nur den konservativen Kräften überlassen. Aber ich hatte den Eindruck, das war manchen Gemeindemitgliedern zu viel. 

Werden Sie politisch, weil Sie den Eindruck haben, kaum eine andere Wahl zu haben?

Das ist für mich persönlich sicher der Fall. 

Ziel ist, dass sich die Menschen als Menschen wahrnehmen und nicht nur als politische Meinung.

Anders als in der Schweiz, erhalten die Pfarrpersonen in den USA den Lohn nicht von Landeskirchen, finanziert durch Steuereinnahmen. Sie sind abhängig von den Gemeinden, diese wiederum von Spenden. Spielt das eine Rolle bei der Meinungsäusserung?

Vermutlich würde es mir in der Schweiz leichter fallen, weil mein Salär nicht direkt von den Menschen kommt, die in den Gottesdienst gehen. Aber ich bin nur der zweite Pfarrer in meiner Gemeinde. Meine Kollegin ist die Chefin und sie ist zurückhaltender. Als Chefin muss sie noch deutlicher für alle da sein. Denn es ist schon so: Vergrault man die Menschen, hat man keine Kirche mehr. 

Inwiefern kann eine Kirchgemeinde dazu beitragen, gesellschaftliche Spaltungen zu überwinden?

Wir versuchen das tatsächlich. Einerseits mit Bildungsangeboten, die Begegnungen mit Menschen aus unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen bieten. Andererseits ganz praktisch. Kirchgemeinden sind Orte der gelebten Nächstenliebe. Über ideologische Unterschiede hinweg arbeiten Menschen gemeinsam an vorderster Front in der Bekämpfung von Ernährungsunsicherheit oder im Bestreben um einen besseren Zugang zu Hilfsangeboten bei psychischen Gesundheitsproblemen. Und wir möchten eine Gesprächskultur fördern. Es ermöglichen, dass Menschen, die nicht einer Meinung sind, miteinander im Gespräch bleiben. Orte zum Reden schaffen. 

Wie genau?

Recht niederschwellig. In mehreren Gottesdiensten haben wir uns Fragestellungen gewidmet, etwa «Wo kommst Du her?», «Wo tut es weh?», «Was brauchst Du?» und «Wo führt uns das hin?». Die Besucher bekommen Fragen in die Hand und sollen diese jemandem stellen, den sie noch nicht so gut kennen. Die Gespräche können nach dem Gottesdienst weitergeführt werden. Ziel ist, dass sich die Menschen als Menschen wahrnehmen und nicht nur als politische Meinung.  

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