Die Er-Schöpfung der Frauen
«Erschöpfung ist ein selbstverständlicher Aspekt der Weiblichkeit», sagt die Soziologin und Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach. Am 5. März sprach sie im Zwinglihaus in Basel über ein gesellschaftliches System, das «von Frauen alles erwartet und nichts zurückgibt.»
Co-Gastgeberin Judith Borter von der Fachstelle für Gender und Bildung Baselland, die den Abend gemeinsam mit Regula Tanner vom Forum für Zeitfragen organisiert hatte, beschrieb in ihrer Einführung zum Abend einen realistischen Arbeitstag einer Frau: Von früh bis spät ein unermüdlicher Spagat zwischen Familie, Haushalt und Bürojob – und trotz aller Errungenschaften das traurige Gefühl, es nicht allen recht machen zu können. Dass dieses Gefühl nach einem Arbeitstag für viele Frauen kein Einzelfall ist, zeigte das grosse Interesse an dem Thema: Rund 200 Frauen und Männer waren der Einladung gefolgt.
Wenn Liebe anstrengend wird
Franziska Schutzbach beginnt ihren Vortrag mit einem Zitat der Wiener Journalistin Bettina Figl: «Eine Frau kann alles, soll aber auch alles.» Der Satz bringt die zentrale These von Schutzbachs Buch auf den Punkt: An Frauen wird die Erwartung gerichtet, dass sie zugleich stark sexy, gut gebildet und berufsorientiert sind, aber eben auch: lieb und sozial. «Neben den emanzipierten Rollenerwartungen bestehen immer noch die traditionellen», erklärt Schutzbach. «Frauen werden nicht einfach als Menschen betrachtet, sondern als gebende Menschen.»
In ihrem 2021 erschienenen Bestseller «Die Erschöpfung der Frauen» beleuchtet Franziska Schutzbach die weibliche Erschöpfung als gesellschaftliches Symptom, dem systemische Ursachen zugrunde liegen.
Sowohl in privaten wie auch in beruflichen Beziehungen seien es mehrheitlich Frauen, die an Geburtstage denken, die Disharmonien ausgleichen, die Einkaufszettel schreiben und die Projekte gedanklich vorantreiben. Und es seien entsprechend auch die Frauen, die an Schuldgefühlen leiden, wenn sie einen Geburtstag vergessen oder vergessen haben, Milch für den gemeinsam genutzten Kühlschrank zu kaufen. «Die Erwartung an sie ist, dass diese Emotionsarbeit intuitiv geschieht», sagt Schutzbach. «Es ist Arbeit aus Liebe – und Liebe darf nicht anstrengend sein.»
Wer nicht warmherzig ist, wird sanktioniert
Anders als in anderen Berufen sei es Frauen nicht möglich, in der Emotionsarbeit zu streiken, denn sie sind ja für die gelingende Beziehung zuständig. Das mache sie vulnerabel und bringe sie in eine Abhängigkeit, aus der sie kaum ausbrechen können. «Gefühle der Liebe, Ablehnung, Überforderung und Einsamkeit können parallel existieren», betont Schutzbach. «Aber die Beziehungsarbeit unterbricht auch den eigenen Zeitfluss und erlaubt Frauen weniger Pausen.»
Sich der Rolle der «Gebenden», wie Schutzbach es nennt, zu entziehen, habe signifikante Sanktionen für die Frauen zur Folge. In akademischen Kreisen erhalten Professorinnen schlechtere Rankings, wenn sie von Studierenden als nicht nahbar und kühl wahrgenommen werden. Ihnen wird die Tatsache übelgenommen, dass sie keine persönliche Beziehung zu den Studierenden aufbauen. Bei ihren männlichen Kollegen dagegen werden genau diese Eigenschaften als Zeichen der Kompetenz empfunden. Auch Hilary Clinton, so Schutzbach, habe gemäss politischer Analysen die emotionalen Kriterien nicht erfüllt und sei wohl auch deswegen nicht zur Präsidentin gewählt worden. Frauen fänden sich also in einem ewigen Dilemma wieder: «Zeigen sie zu wenig Gefühle, sind sie keine richtigen Frauen. Zeigen sie zu viel Gefühl, sind sie keine Führungspersönlichkeiten.»
Das hat zur Folge, dass Frauen generell mehr leisten müssen, um ihre Kompetenz unter Beweis zu stellen. Sie machen Überstunden und kümmern sich zu Hause zusätzlich um Haushalt und Kinder. «Die Erschöpfung der Frauen», fasst Schutzbach zusammen, «ist die Basis der Wirtschaft. Care-Arbeit ist die unsichtbare Grundlage des Markts.» Tatsächlich werden drei Viertel der unbezahlten Arbeit von Frauen übernommen, der monetäre Wert dieser Arbeit beträgt 248 Milliarden Franken im Jahr – mehr als alle Ausgaben des Bundes, aller Kantone und Gemeinden zusammen.
Ein Nehmen und kein Geben
«Die Art, wie mit Frauen umgegangen wird», sagt Franziska zum Abschluss, «ist dasselbe Verhalten, das wir auch gegenüber dem Planeten haben. Wir nehmen und nehmen von seinen Ressourcen – und denken, dass wir nichts zurückgeben müssen.»
Es sei nötig, findet Schutzbach, den Arbeitsbegriff zu ändern und das Engagement der Frauen ernst zu nehmen. Dafür braucht es mitunter eine neue Logik für die Verteilung von Ressourcen in der Wirtschaft. Erstweilen eine Utopie – dessen ist sich auch Franziska Schutzbach bewusst. «Aber es ist interessant, sich an Utopien auszurichten», sagt sie und schliesst mit einem Wunsch, der ihr tosenden Applaus gibt: «Nicht die Frauen sollen weniger gebend sein – sondern die Männer sollen mehr gebend sein.»
Franziska Schutzbach wurde 1978 in Würzburg (D) geboren und wuchs in Biel (CH) auf. 2019 promovierte sie an der Universität Basel mit einer Dissertation zum Thema der reproduktiven Gesundheit, Bevölkerung und Geschlecht. Sie arbeitet unter anderem als Autorin und feministische Aktivistin und unterrichtet an verschiedenen Universitäten. Schutzbach ist Mitglied der Gleichstellungskommission Basel-Stadt.
Der Vortrag von Franziska Schutzbach im Zwinglihaus wurde organisiert von der Fachstelle Gender und Bildung der reformierten Kirche Baselland in Zusammenarbeit mit dem Forum für Zeitfragen der Evangelisch-Reformierten Kirche Basel-Stadt.
Die Er-Schöpfung der Frauen