Die Erweiterung des Himmels – mit Theologie und Astronomie
Sie arbeiten an einem Forschungsprojekt «Theologie des Himmels». Was soll das bedeuten?
Matthias Wüthrich: Die Astronomie macht immer wieder Entdeckungen und zeigt uns Bilder wie etwa jene des James Webb Teleskops, die mich staunen lassen – auch wenn ich nur einen Bruchteil davon verstehe. Gleichzeitig beobachte ich, wie der Himmel immer mehr politisiert und ökonomisiert wird.
Was verstehen Sie unter einem «politisierten und ökonomisierten» Himmel?
Die Dichte der Satelliten, die um die Erde kreisen, hat in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen – auch für militärische Zwecke. In wenigen Jahren werden laut Experten Weltraumfabriken entstehen, insbesondere zur Herstellung von Medikamenten und pharmazeutischen Produkten. Vor allem China und die USA sowie private Firmen liefern sich einen Wettlauf zum Mond, und Elon Musk möchte mittelfristig Menschen mit SpaceX zum Mars fliegen… Um es etwas zu schön zu sagen: Es herrscht eine intensivierte, ausgreifende Betriebsamkeit im erdnahen Himmel!
Und wo ist die Theologie dabei?
Und da der Himmel ein zentrales Thema der biblischen Schriften bildet und sich die Theologie seit ihren Anfängen mit dem Himmel auseinandergesetzt hat, liegt es für mich auf der Hand, vor diesem Hintergrund gerade jetzt noch einmal neu über den Himmel nachzudenken.
Der Berner Matthias Wüthrich ist ordentlicher Professor für Systematische Theologie, insbesondere Religionsphilosophie an der Uni Zürich. Neben Forschungen zur Theologie Karl Barths befasst er sich mit Raumtheorien, dem Dialog «Science and Religion», Digital Religions und mit dem Theodizeeproblem (der Frage, wie das Leiden in der Welt mit der Annahme zu vereinbaren sein soll, dass ein Gott sowohl allmächtig und allwissend als auch gut sei).
Wenn ein 15-jähriger Mensch Sie fragen würde, was der Himmel eigentlich ist: Was würden Sie sagen?
Der Begriff «Himmel» kann Verschiedenes bedeuten und hat in der Geschichte auch sehr vielfältige Bedeutungen gehabt. Hilfreich finde ich, wenn man zunächst unterscheidet zwischen dem Himmel als «sky», dem profanen Himmel, der sich naturwissenschaftlich erforschen lässt, den wir phänomenal als Wetterbereich, als Atmosphäre, als Sternenhimmel etc. wahrnehmen, und dem Himmel als «heaven», dem religiös aufgeladenen Himmel als Sphäre Gottes, als ewiges Jenseits und Ähnliches mehr.
Wie bringen Sie denn für sich selbst die theologischen und naturwissenschaftlichen Vorstellungen und Beschreibungen von «Himmel» zusammen?
Das ist eine schwierige Frage … Früher waren «sky» und «heaven» vorstellungsmässig verschränkt. Mit der Ausbildung der Naturwissenschaften in der Neuzeit haben sich beide auseinanderentwickelt. Die Theologie kann und soll diese Entwicklung nicht rückgängig machen, sie muss vielmehr immer wieder das Gespräch mit den Naturwissenschaften suchen und das eigene Himmelsverständnis im Gegenüber zu ihnen kritisch prüfen und an gewissen Punkten auch revidieren – ohne dabei ihr besonderes Profil und wichtige Einsichten einfach aufzugeben. Kurz: Es geht mir nicht um eine Synthese oder eine einseitige Integration, sondern um einen differenzsensiblen Dialog.
Wie kommen Sie überhaupt dazu, sich im «Space Hub» der Uni Zürich zu engagieren?
Ich habe ein Buch über theologische Raumtheorien geschrieben und arbeite schon seit längerem mit Oliver Ullrich zusammen, dem Direktor des Space Hub in Zürich. Wir führen jedes Jahr ein Seminar zum Thema «Was ist Leben?» durch. Der Raumfahrtmediziner und Gravitationsbiologe Oliver Ullrich hat einen breiten Interessenshorizont und hat mich gefragt, ob ich Mitglied des Space Hub werden möchte.
Wenn die Astrobiologie nach ausserirdischem Leben im Weltall sucht, ist darum gar nicht so klar, wonach sie wirklich sucht.
Wie würden Sie persönlich den Satz vervollständigen: «Leben ist …»?
Persönlich und aus theologischer Sicht würde ich vereinfacht sagen: Leben ist ein Geheimnis, es hat seinen Ursprung in Gott. In der Theologie geht es dabei vor allem um das sinnerfüllte, befreite und glückliche Leben. In den Naturwissenschaften geht es bei dieser Frage vielmehr um Stoffwechselprozesse, Selbsterhaltung, Bewegung, Information und anderes. Es gibt aber keine konsensfähige Definition. Wenn die Astrobiologie nach ausserirdischem Leben im Weltall sucht, ist darum gar nicht so klar, wonach sie wirklich sucht. – Kurz: Wir reden im Alltag und in den Wissenschaften in sehr unterschiedlicher Weise von Leben.
Inwiefern hat sich Ihre Ansicht darüber mit der Zeit geändert?
Ich habe anfänglich versucht, die verschiedenen Lebensbegriffe – es gibt ja noch viel mehr als die erwähnten! – für mich zu systematisieren, bin aber schnell gescheitert. Mittlerweilen kann ich relativ gut mit diesem Scheitern leben …
Wenn Menschen naturwissenschaftlich Leben ausserhalb der Erde nachweisen könnten: Was würde das für Sie als Theologe heissen?
In der Bibel in Gen 1 steht es zwar etwas anders, aber wenn die spätere theologische Tradition von Gottes Schöpfung gesprochen hat, hatte sie meistens die kleinräumige Erschaffung der Erde und eines Himmels vor Augen, der sie kreisförmig umgibt; eine Schöpfung, die im Menschen ihren Höhepunkt, ihre «Krönung» findet. Diese anthropozentrische Zuspitzung wurde in der Neuzeit mehrfach aufgebrochen, «dezentriert»: Nach Kopernikus sind die Erde und der Mensch nicht mehr Mittelpunkt des Universums, nach Darwin stammt der Mensch vom Affen ab, nach Freud ist er nicht mehr «Herr im eigenen Haus», weil es unbewusste Tiefenschichten in ihm gibt, die ihn bestimmen.
Es würde den Menschen also weiter weniger wichtig machen?
Ja, es stellte das wohl eine weitere Dezentrierung des Menschen dar, würde nun irgendwo im Universum intelligentes Leben entdeckt. Theologisch wäre das meines Erachtens aber kein Problem. Mir wäre freilich wichtig, zumindest an der Einzigartigkeit des Menschen festzuhalten, schon nur aus ethischen Gründen, etwa bezüglich Menschenwürde. Von daher wäre ich dann auch zurückhaltend gegenüber Spekulationen darüber, ob sich Gott auch in einem extraterrestrischen Leben inkarniert hat …
Gott lässt sich nicht auf eine Raumstelle im Universum fixieren, Gott transzendiert vielmehr das ganze Universum und ist uns doch näher als wir uns selbst.
«Gott geriet in Wohnungsnot»: Das hielt schon im 19. Jahrhundert der Theologe David Friedrich Strauss fest, weil wir immer mehr darüber, wie es in der Weite um uns aussieht. Wo wohnt er Ihrer Ansicht nach heute?
Im mittelalterlichen Weltbild wurde Gott in einem hellglänzenden, unbeweglichen, transzendenten Ort jenseits der äussersten Fixsternsphäre lokalisiert, er «wohnte» im Himmel. Diese Vorstellung brach mit dem Aufkommen der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in der Neuzeit zusammen. Darauf spielt der ironische Ausspruch von Strauss an. Meine viel zu kurze Antwort: Gott lässt sich nicht auf eine Raumstelle im Universum fixieren, Gott transzendiert vielmehr das ganze Universum und ist uns doch näher als wir uns selbst.
Wie ergänzt die Theologie die Astronomie heute sinnvoll?
Die Astronomie produziert immer wieder Grenzfragen, die sie unter ihren methodischen Voraussetzungen nicht beantworten kann: Was war vor dem Urknall? Hat das Universum ein Ende, kollabiert es? Wer erschafft den Naturgesetzen ein Universum, das sie beschreiben können? Im Blick auf solche Grenzfragen bietet sich die Theologie als Gesprächspartnerin an. Und es zeigt sich dann vielleicht, dass die Astronomie auch die Theologie ergänzt …
Space Hub der Uni Zürich: Biotechnologie und Astrophysik
Der UZH Space Hub ist ein Scharnier zwischen der Wissenschaft und der «New Space Economy», der wirtschaftlichen Umsetzung der Raumfahrtforschung. Schwerpunkte sind Biotechnologie, Medizin, Erdbeobachtung, Fernerkundung, Astrophysik sowie autonomes Fliegen und Navigieren. Gegründet wurde der Space Hub 2018. Heute umfasst er 35 Forschungsgruppen und ein eigenes Flugprogramm.
Die Erweiterung des Himmels – mit Theologie und Astronomie