«Die katholische Kirche ist als Weltkirche wie ein schwerer Tanker unterwegs»
Eigentlich sollte das Treffen den Frieden unter den Protestanten bringen. 1529 hatte Landgraf Philipp von Hessen die Führer der Reformation Luther, Zwingli, Melanchton und Oekolampad nach Marburg geladen. Ziel war, den offenen Streit ums Abendmahl beizulegen. Doch es misslang. Luther beharrte darauf, dass Christus «in, mit und unter» Brot und Wein gegenwärtig sei. Und für Zwingli war klar, im Einsetzungswort «Dies ist mein Leib» heisst «ist» «bedeutet». Der Dissens zwischen dem Wittenberger und dem Zürcher blieb. Verärgert ritt Zwingli die tausend Kilometer zurück an die Limmat. Und die Reformierten und Lutheraner gingen beinahe 500 Jahre lang getrennte Wege.
1973 änderte sich dies. In der abgelegenen Baselbieter Heimstätte Leuenberg trafen sich Theologen aus beiden Lagern und einigten sich auf die Leuenberger Konkordie. Der Konflikt um das Abendmahl war beendet. Der Kompromiss, hiess «Gemeinschaft in versöhnter Verschiedenheit».
Als der Dogmatiker Reinhold Bernhardt Vikar in Bad Schwalbach bei Wiesbaden war, konnte man sich dort an die protestantische Kirchenspaltung noch gut erinnern. Früher gab es eine reformierte und eine lutherische Gemeinde; jede hatte ihre eigene Kirche und ihre eigene Pfarrperson. Und man feierte das Abendmahl getrennt.
Unter Protestanten selbstverständlich
Heute sei die protestantische Ökumene selbstverständlich, meint Reinhold Bernhardt, der an der Theologischen Fakultät Basel doziert. Das hat es auch möglich gemacht, dass deutsche Pfarrerinnen und Pfarrer, egal ob Lutheraner, Unierte oder Reformierte, von Schweizer Kanzeln predigen und umgekehrt. Die hiesige Kirchenlandschaft würde ohne diese Ausländer nicht funktionieren.
Umgekehrt hatte die reformierte Theologie aus der Schweiz einen riesigen Einfluss auf die Deutsche Kirche. Das dokumentierte sich etwa in der Barmer Theologischen Erklärung, sagt Bernhardt. Diese bildete das theologische Fundament der Bekennenden Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus. Ihr Hauptautor war Karl Barth. Der Basler Theologe prägte die deutsche Kirchengeschichte bis in die 60er-Jahre.
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Zeit der ökumenischen Aufbrüche. Lutheraner und Reformierte einten sich, einige Freikirchen, wie die Methodisten, gehören nun zur «Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa» GEKE. Selbst Katholiken und Protestanten haben sich angenähert.
Knacknuss Bekenntnis und Taufe
Doch seit dem Anbruch des neuen Jahrtausends stockt die Ökumene. Im Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche bestehen die Knacknüsse im Verständnis der Kirche, des Bischofs- und Priesteramtes, das Abendmahls und nicht zuletzt auch der ökumenischen Zielvorstellungen. Im Verhältnis zu manchen Freikirchen – wie den Baptisten – geht es dagegen eher um die Frage der Taufe. «Diese Kirchen beharren darauf, dass der Taufe ein selbst verantwortetes Bekenntnis zu Jesus vorausgeht. Es dürfen also keine Säuglinge, sondern nur Erwachsene getauft werden», stellt Reinhold Bernhardt fest. Das vertrage sich schlecht mit den offenen Kantonalkirchen, die auch Kinder taufen und auf die Bekenntnisfreiheit Wert legen. Bekenntnisfreiheit heisse aber auch für sie nicht Bekenntnislosigkeit.
Für Rom gibt es nur eine Kirche
«Immer wieder wurde die Hoffnung geäussert, das Leuenberger Modell der ‘Gemeinschaft in versöhnter Verschiedenheit’ könnte auch der Schlüssel für eine Einigung mit der katholischen Kirche sein», sagt Reinhold Bernhardt. «Doch das kommt für den Vatikan nicht in Frage. Für Rom gibt es nur eine Kirche, und nicht verschiedene, die eine Gemeinschaft bilden.» Mit dieser Maximalforderung blockiere man aber den Weg zur Einheit.
Eine zentrale Rolle nehme dabei für die Katholiken das Bischofsamt ein. Es hält nach katholischem Verständnis die Kirche zusammen. Alle anderen geistlichen Ämter – vom Priester bis zum Papst – leiten sich von diesem Amt ab. Und davon hängt wiederum das Abendmahl ab. «Wer die Weihe nicht empfangen hat, kann nach katholischem Verständnis keine Eucharistie zelebrieren», erklärt Bernhardt. Und umgekehrt stellt das katholische Bischofsamt die evangelische Überzeugung von der Gleichheit aller Gläubigen vor Gott in Frage. «Die beiden Verständnisse der Kirche sind kaum kompatibel», so Bernhardt. Ausserdem sei die katholische Kirche als Weltkirche wie ein schwerer Tanker unterwegs, der sich nicht einfach umlenken lasse, schon gar nicht von einer kleinen reformierten Kirche.
Kirchenvolk rückt zusammen
Heute rückt das Kirchenvolk über die Konfessionsgrenzen hinweg immer näher zusammen, während es auf der Ebene der Kirchenleitungen stockt. Für die Basis seien die Differenzen theologische Spitzfindigkeiten. Und mit der Vielfalt der Kirchen könne man ja ganz gut leben, räumt Reinhold Bernhardt ein. Man dürfe die Frage nach der Einheit der Kirche nicht zu hoch schrauben.
Schon unter den ersten Christen gab es eine Vielfalt von verschiedenen Gemeinden, die Vorstellung einer Kirche als Institution kam erst später. Es gehe dabei auch um die Frage, ob die Kirche vor allem eine religiöse Institution ist oder nicht vielmehr eine geistliche Grösse, ergo die Gemeinschaft der Glaubenden, so Bernhardt. «In einer Kirche in einem geistlichen Sinn kann und darf es eine institutionelle Vielfalt geben. Die Einheit dieser Kirche muss nicht erst hergestellt werden, sie besteht in Christus schon.»
Tilmann Zuber, kirchenbote-online
Siehe auch: Das Ende des Abenmahlstreits
«Die katholische Kirche ist als Weltkirche wie ein schwerer Tanker unterwegs»