Anfang Juni hat die Synode der reformierten Kantonalkirche Evelyn Borer zur Präsidentin des Synodalrates gewählt. Borer übernimmt damit die Nachfolge von Verena Enzler, die Ende Jahr von ihrem Amt zurücktritt.
Evelyn Borer lebt in Dornach und arbeitet in der Sozialhilfebehörde der Gemeinde Reinach. Als sich Borer in der Heiliggeistkirche Flüh den Synodalen vorstellte, las sie die Präambel der Schweizerischen Bundesverfassung vor. Der Text spiegle ihre Haltung wieder, erklärte sie. Die Offenheit und der Respekt im Umgang mit Menschen, ihren Werten und Anschauungen seien ihr wichtig, auch in der Kirche. «Unter dem Dach der reformierten Kirchen haben unterschiedliche Strömungen, Ideen und Haltungen Platz», sagte sie. Gerade die Offenheit der Reformierten gefalle ihr.
«Der Mensch braucht geistige Nahrung»
Für die Dornacherin bildet die Bibel die Grundlage «unserer Werte und Haltungen». Aber man müsse die Texte im Kontext ihrer Epoche lesen und sie dann in unsere Zeit transformieren. Evelyn Borer ist überzeugt, dass die Kirchen auch heute noch viel zu sagen haben. Der Mensch brauche nicht nur finanzielle Sicherheit. Er brauche auch geistige Nahrung, Orientierung und soziales Miteinander. «Das sind Aspekte, zu denen die Kirche viel beitragen kann.»
Für ihre neue Aufgabe bringt Evelyn Borer einen vollen Rucksack mit. Sie kennt die kommunale und kantonale Politik aus eigener Erfahrung. Borers politische Karriere beginnt so, wie viele in der Schweiz: Als junge Frau engagiert sie sich im Turnverein. Als ihre älteste Tochter geboren wird, übernimmt sie ein Amt im Kirchgemeinderat. Ihr Vater und Grossvater sassen auch schon im Kirchgemeinderat. Die Kirche gehört in der Familie selbstverständlich dazu. So wurde sie volkskirchlich geprägt, dies verleihe ihr ein sicheres Gefühl und eine Basis, erzählt Evelyn Borer.
Gemeinde-, Kantonsrätin und Kirchgemeinderätin
Später wird Borer Gemeinderätin in Dornach, sitzt für die SP im Solothurner Kantonsrat, ist Mitglied der Sozial- und Gesundheitskommission Kanton Solothurn und Präsidentin des Stiftungsrates Alters- und Pflegeheim Wollmatt. Seit 2015 ist sie Präsidentin der Reformierten Kirchgemeinde Dornach-Gempen-Hochwald. Zu all den Aufgaben kommt noch die eigene Familie. Die 59-Jährige hat zwei Töchter im Alter von 33 und 35 Jahren. Die ältere ist Sozialpädagogin, die jüngere arbeitet in der Werbebranche. Klar habe sie die Kandidatur zur Synodalratspräsidentin mit ihren Töchtern besprochen, sagt Borer. Ihre Töchter hätten sie immer bei all ihren Vorhaben unterstützt, auch wenn sie wegen der Anlässe manchmal zu spät zu einem Geburtstag kam.
«Die Kirche soll sich zeigen»
Evelyn Borer sieht die Herausforderung für die kommenden Jahre im Rückgang der Mitglieder und in den abnehmenden Finanzen. Das verlange kreative Ideen. «Die Solothurner Kantonalkirche ist klein. Das bedeutet nicht, dass sie sich klein fühlen und denken muss», so Evelyn Borer. Die Kantonalkirche habe etliche zentrale Aufgaben. Nicht zu vergessen sei der Austausch mit der kantonalen Politik, der auf Augenhöhe geschehen sollte, und mit Mut und Zivilcourage, betont Borer. «Die Kirche soll sich zeigen», sagt sie. «Man muss sehen, welche Haltung sie vertritt.» Es schade nicht, wenn das manchmal zu kontroversen Diskussionen führt.
Die Kirchenaustritte sieht Evelyn Borer als gesamtgesellschaftliches Phänomen. Auch Vereine und Parteien hätten Mühe, neue Mitglieder anzusprechen. «Viele sind heute weltweit vernetzt und unterwegs, doch sie vereinsamen in ihren eigenen vier Wänden», stellt Borer fest.
Die Kirchgemeinden könnten Menschen verbinden. Etwa am Sonntagmorgen, an dem sie Wort und Gemeinschaft bieten. «Es lohnt sich, die Kirche zu besuchen», sagt Borer. «Es gab nur wenige Gottesdienste, bei denen ich das Gefühl hatte, nicht profitiert zu haben.»
Tilmann Zuber
«Die Kirche braucht sich nicht klein zu fühlen»