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Der erste queere EKS-Rat

«Die Kirche ist ein Ort, an dem sehr vieles möglich ist»

von Noemi Harnickell
min
10.01.2024
Michel Rudin wurde mit 50 Stimmen in die Exekutive der EKS gewählt. Mit dem ersten «queeren Kirchenrat» dürfte ein frischer Wind in den Rat der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz ziehen.

Es sei ein bisschen wie im Krimi gewesen, beschreibt Michel Rudin den Moment seiner Wahl im November. Dass er mit 50 von 69 Stimmen gewählt werden würde – damit hatte er nicht gerechnet. Umso grösser war jedoch seine Freude darüber.

Michel Rudin wird gerne als «kirchenpolitischer Aussenseiter» bezeichnet. Und es stimmt, Rudin sitzt erst seit zwei Jahren überhaupt in der Synode der Reformierten Kirche des Kantons Luzern – im Gegensatz zu den beiden anderen Kandidaten, die beide seit vielen Jahren in der Synode engagiert sind. Aber Rudin ist weder ein Aussenseiter in der Politik noch in der Kirche. Der 1985 geborene Lysser war unter anderem Co-Präsident der Schwulenorganisation Pink Cross und wirkte im Vordergrund der Initiative «Ehe für alle» mit. Nun will er als Brückenbauer in der Kirchenexekutive wirken.

Die Kirche, ein sicherer Raum für alle?

«Meine Familie war immer schon kirchlich verwurzelt», sagt er. Die Mutter gab kirchlichen Unterricht, der Vater engagierte sich im Kirchgemeinderat – und der Grossvater war seinerzeit als Sigrist tätig. Mit Anfang zwanzig gründete Rudin zusammen mit dem Sozialdiakon seiner Kirche in Lyss im Kanton Bern einen philosophischen Hauskreis, das «Philosofa», wie er es nannte. «Ich wollte einfach ein allgemeines philosophisches Austauschgefäss anbieten, in dem man sich über Gott und die Welt unterhalten konnte», sagt er rückblickend. Der Kreis war klein, aber divers. «Zu den Austauschrunden kamen Leute, die sich als Atheisten bezeichneten, und eine Frau, die von sich behauptete, eine Hexe zu sein. Es war kunterbunt, aber alle waren willkommen.»

Dass man die Kirche als offenen und sicheren Raum verstehen kann, ist vor allem für viele junge Menschen nicht selbstverständlich. Auch Rudin sind die Vorurteile nur zu bewusst. «Aber die Tatsache, dass ich mit 50 Stimmen gewählt wurde, zeigt mir, wie offen die Kirche wirklich ist.»

Die Kirche ist absolut ein Safe-Space für alle möglichen Menschen. Aber man muss es auch zeigen.

Ein Label für mehr Sichtbarkeit

Inzwischen wird er immer wieder als der «queere Kirchenrat» bezeichnet. Stört ihn das? «Die Kirche ist absolut ein Safe-Space für alle möglichen Menschen», meint er. «Aber man muss es auch zeigen.» Das Label sei ihm darum durchaus wichtig. Egal, ob Frauen, People of Colour oder eben Leute aus dem LGBTQ+-Spektrum: Je mehr Sichtbarkeit diese Menschen in den Gremien erhalten, desto mehr könnte man andere aus den unterschiedlichen Lebensbereichen ermutigen, sich in der Kirche zu engagieren. «Wir brauchen diese Diversität, um vielsichtige Blickwinkel zu schaffen», sagt Rudin. «Indem Leute wie ich in den Kirchenrat gewählt werden, setzt die Kirche ein Zeichen, dass sie Vielfalt lebt.»

Gerade das Einbeziehen junger und queerer Menschen in Kirchenvorstände ist nicht nur der Vielfalt willen von grosser Bedeutung. Man könnte es als Verpflichtung verstehen, eine Kirche zu schaffen, die das gesamte Spektrum menschlicher Erfahrungen und Identitäten abbildet. Das Anerkennen aller möglichen Stimmen im Entscheidungsprozess fördert ein «mitfühlenderes und verständnisvolleres Umfeld». «Ich nehme die Kirche als einen Ort wahr, an dem sehr vieles möglich ist», betont Rudin. Die Vielfältigkeit der Kirche fasziniert ihn – und die gehe über sexuelle Orientierung, Alter und Geschlecht hinaus. Neulich sei er bei einem Jodelgottesdienst zu Gast gewesen. «Das ist einfach super!», freut er sich. «Das ist gelebte Kirche!»

Ein Brückenbauer

Michel Rudin betont in Interviews immer wieder, dass er in seiner neuen Funktion als Kirchenrat Brücken bauen wolle. Es stosse immer wieder auf Kritik, wenn sich die Kirche politisch positioniere, sagt er. «Aber in der Schweiz ist es enorm relevant, dass man mit allen spricht.» Er möchte darum ein Verständnis für Synergien zwischen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kirchlichen Themen schaffen.

Die Frage sei ja: Wie gross ist die politische und wirtschaftliche Kraft der Kirche? «Ich erlebe häufig, dass Menschen in Kirchengremien aus einer Abwehrhaltung heraus denken. Ich finde es aber eigentlich wichtiger, dass wir aus der Stärke heraus denken.»

«Die überwiegende Mehrheit unserer Gesellschaft ist religiös-spirituell», sagt Rudin. «Wir sind keine Randerscheinung, und ich freue mich darauf, für eine grosse Anzahl Menschen Verantwortung tragen zu dürfen.»

 

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